ndAktuell
nd
All episodes
Best episodes
Top 10 ndAktuell Episodes
Goodpods has curated a list of the 10 best ndAktuell episodes, ranked by the number of listens and likes each episode have garnered from our listeners. If you are listening to ndAktuell for the first time, there's no better place to start than with one of these standout episodes. If you are a fan of the show, vote for your favorite ndAktuell episode by adding your comments to the episode page.
Kein Ende der Kriege?
ndAktuell
03/05/24 • 119 min
Am 24. Februar 2022 begann der russische Krieg in der Ukraine; nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober vergangenen Jahres auf Israel dauern die Angriffe im Gazastreifen an. In vielen Teilen der Welt flammen Konflikte neu oder wieder auf. Die internationale Gemeinschaft scheint machtlos angesichts der Eskalation.
Welche Möglichkeiten gibt es, die Krisen friedlich beizulegen? Und: Ist dies überhaupt realistisch und gewollt? Darüber diskutierten anlässlich des zweiten Jahrestag im Ukraine-Krieg der Publizist und Politikwissenschaftler Michael Lüders und Günter Verheugen, früherer Vizepräsident der Europäischen Kommission. Beide haben sich jüngst mit Büchern zu diesen Themen zu Wort gemeldet. Die Moderation übernahm Uwe Sattler, Mitglied der nd-Redaktionsleitung.
Dies ist ein Mitschnitt der Diskussionsveranstaltung unter dem Titel »Die globale Ordnung im Krisenmodus Ukraine, Nahost, Jemen – kein Ende der Kriege?«, die am 22. Februar 2024 am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin stattfand.
Ist jetzt Schluss mit dem Fußball?
ndAktuell
11/17/22 • 59 min
Christof Meueler: Die Fußball-WM, die am Sonntag in Katar beginnt, gilt als besonders schlimm. Sie findet im Winter statt, in der Wüste und in einer absoluten Monarchie ohne Demokratie. Ist das nicht der richtige Zeitpunkt zu sagen: Mit diesem Profifußball wollen wir nichts mehr zu schaffen haben?
Christian Klemm: Für mich war schon der Umgang mit Corona der Grund, mit dem Profifußball Schluss zu machen. Ich fand es nicht vermittelbar, dass zum Beispiel die Bundesliga in der Pandemie weiterläuft, während der Breitensport darniederliegt.
Meueler: In leeren Stadien. Das war schlimm.
Klemm: Und jetzt kommt diese WM in der Wüste. Sie ist für mich der größte Skandal des Profifußballs, wenn nicht sogar des Profisports überhaupt. Man muss sich nur daran erinnern, wie das Turnier 2010 an Katar vergeben wurde. Für dieses Land als Ausrichter sprach nur, dass es noch nie in einem arabischen Land eine Fußball-WM gab. Katar hatte keinen nennenswerten Fußballbetrieb. Es gab keine Stadien, keine Trainingsplätze und auch keine Infrastruktur für die Millionen Fans, die jetzt kommen werden. Auch die Bewerbung Katars hat nach Ansicht von Experten nicht überzeugt. Und da reden wir noch gar nicht von den Menschenrechten oder Arbeitsbedingungen. Bei der Vergabe waren eigentlich die USA der Favorit. Und trotzdem hat das Fifa-Exekutivkomitee dieses Turnier mit einer Entscheidung von 14:8 an die Kataris vergeben. Wenn eine WM gekauft ist, dann ist es diese.
Alexander Ludewig: Die Fifa ist ja nicht erst seit dieser Vergabe in der Kritik. Soll man sich wegen dieser WM vom Fußball abwenden? Auf der persönlichen Ebene geht das: Wenn die Einschaltquoten deutlich niedriger sind als sonst, dann merken das die Sender, die viel Geld dafür bezahlt haben. Das Merchandising merkt es auch, wenn die Umsätze sinken. Aber wie soll das institutionell gehen? Die Kontinentalverbände und deren Landesverbände sind Mitglied in der Fifa. Die könnten ja sagen: Nein, so wollen wir das nicht, wir steigen da aus. Aber da hängt zu viel Geld dran. Was ich begrüßen würde: einen Boykott der Fernsehübertragungen.
Meueler: 56 Prozent der Deutschen sagen, dass sie die WM boykottieren wollen.
Oliver Kern: Das habe ich auch gelesen. Und dann gegoogelt, wie groß denn die Einschaltquote vom WM-Finale 2014 war. Wenn irgendjemand in Deutschland ein Fußball-WM-Spiel geschaut hat, dann wohl dieses. Das waren 34 Millionen Zuschauer. Auf 80 Millionen gerechnet, sind das nicht mal 50 Prozent. Wenn jetzt 56 Prozent erklären, sie wollen auf keinen Fall WM gucken, dann sind es vielleicht genau die Leute, die sowieso keine WM sehen würden. Es gibt sogar drei Prozent, die gesagt haben, ich gucke diesmal mehr. Ist die Initiative »Boycott Qatar« vielleicht nur eine Twitter-Blase? Und der ganze Rest Deutschlands oder der Welt sagt: Hey, was interessiert mich das? Ich will einfach Fußball gucken, das ist meine Unterhaltung hier. Und auch gerne im Winter.
Klemm: Im Herbst eigentlich. Der Winter beginnt erst am 21. Dezember.
Kern: Ich schau immer nach vorn, für mich ist das die Winter-WM. Ursprünglich war ja der Hauptkritikpunkt, dass sie im Sommer hätte stattfinden sollen, wenn es in Katar noch heißer ist.
Klemm: Bei Temperaturen zwischen 40 und 50 Grad. Wahnsinn!
Kern: Und als man merkte, das geht doch nur im Winter, haben sich die europäischen Ligen erst mal dagegen ausgesprochen, weil sie ihren Liga-Betrieb nicht unterbrechen wollten. Doch Katar zog sie mit Geld auf seine Seite. Das gilt auch für die Klubs: Paris Saint Germain ist in katarischer Hand. Man könnte auch sagen, der FC Bayern München ist in katarischer Hand. Aber Geld zu verdienen ist gar nicht das Ziel, auch nicht bei der WM.
Meueler: Sondern?
Kern: Es geht um den Aufbau von Softpower zur politischen Absicherung. Katar liegt zwischen Iran und Saudi-Arabien. 1990 überfiel der Irak das kleine Land Kuwait, das sich militärisch dagegen nicht wehren konnte. Katar hat das erkannt und arbeitet seitdem daran, seinen Namen in der Welt viel größer und bekannter zu machen, weil es damit symbolisch unangreifbarer wird. Wie geht das besser als mit Sportveranstaltungen? Seitdem folgt da eine WM auf die andere, im Handball, in der Leichtathletik, im Schwimmen, Tischtennis und Turnen. Die Formel 1 startet dort, ebenso die Motorrad-Profis. Und es gibt diverse Asien-Turniere in allen möglichen Sportarten.
Klemm: Angefangen hat das 1993 mit den Qatar Open im Tennis. Ziel der Kataris war es damals und ist es auch heute, das eigene Land ins Schaufenster zu stellen. Das ist nichts Unge...
09/08/22 • 13 min
Anfang August wurden in nur einer Woche vier Menschen von der Polizei getötet, darunter ein wohnungsloser Mittzwanziger und ein aus dem Senegal geflüchteter Teenager. Seitdem ist das Thema Polizeigewalt noch präsenter und die Diskussionen, was angemessen ist und was nicht, laufen heiß. Insbesondere das Thema Rassismus kommt immer wieder auf und wird weiter befeuert von brutalen Fällen, wie denen im Wrangelkiez, den die Polizei zum »kriminalitätsbelasteten Ort« erklärt hat.
Im Gespräch mit dem Pressesprecher der Polizei Berlin, Amnesty Internationals Fachreferentin für Polizei und Menschenrechte sowie einem der Gründer der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt betrachten wir die aktuelle Diskussion von mehreren Seiten. Dabei geht es um Forderungen nach Rassismusstudien in der Polizei ebenso wie um die aktivistische Praxis, Polizist*innen bei gewaltvollen Einsätzen zu filmen.
Mehr zu dem Thema:
2. Zwischenbericht des Forschungsprojektes »Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen«
Recherche des Mediendienst Integration: Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei
Außerdem:
Sookee über Krieg und Patriarchat
ndAktuell
06/22/22 • 22 min
Luftangriffe, Maschinengewehre und Panzer: Assoziationen, die vielen bei dem Begriff Krieg in den Sinn kommen. Doch auch Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt sind Waffen, denen sich im Krieg bedient wird - obwohl international anerkannt wird, dass Vergewaltigungen ein Kriegsverbrechen sind.
Mehr Informationen und Hilfe der zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser
Frauenrechtsorganisation Amica e.V.
Wenn du Hilfe suchst, kannst du dich hier melden:
Das Hilfetelefon - Beratung und Hilfe für Frauen | 08000 116 016
Über die Grenzen des Journalismus
ndAktuell
05/09/22 • 24 min
In der Medienbranche geht es oft darum, die stärksten Bilder und Storys zu haben und am schnellsten zu sein. Schockierende menschliche Schicksale und extreme Bilder und Situationen sind in Kriegszeiten Alltag. Wo ist die Grenze für die Presse zwischen der Aufgabe, darüber aufzuklären und die Menschenwürde anderer zu wahren?
Wir haben im System Journalismus per se Spannungen. Das Verlangen, dass möglichst schnell und umfassend berichtet werden soll, steht in einem Spannungsverhältnis zu einer gründlichen Recherche. Dazu kommt die Forderung, die Auflage zu erhalten oder gar zu erhöhen.
Das führt wiederum dazu, dass ein gewisser Trend in Richtung drastische, schockierende Bilder und Berichterstattung geht. Und das steht in einer Spannung zur Wertschätzung gegenüber dem Berichtobjekt und dem Schützen derer Privatsphäre. Diese Situation wird gegenwärtig durch Social Media noch verstärkt, weil dort die Menschen Berichte praktisch in Echtzeit geliefert bekommen. Und damit wird der professionelle Journalismus ein Stück weit vor dieser Social Media Geschwindigkeit hergetrieben, weil die gleiche Schnelligkeit erwartet wird, zugleich aber auch seriöse Recherche. Das geht einfach nicht zusammen. Da müssen wir uns auch als Gesellschaft fragen: Was erwarten wir überhaupt von seriösem Journalismus? Wir können nicht nur Forderungen stellen.
Für die Veröffentlichung von extremen Bildern wird oft das Argument genannt, dass die Aufklärung über die Situationen der Fokus ist und damit auch politischer Druck ausgeübt werden kann, wie damals im Vietnamkrieg. Wie würden Sie das bewerten? Wo ist die Grenze?
Grundsätzlich ist dieser Gedanke richtig. Journalismus hat die Aufgabe zu informieren, damit die Rezipient*innen sich selbst ihre Meinung bilden und ihre Aufgabe als Bürger*innen in einer Demokratie entsprechend wahrnehmen können. Trotzdem bedeutet das nicht, dass diese Aufgabe und Pflicht, zu informieren, ein Freifahrtschein für jede Art von Bildern ist. Wir müssen jeweils auch den Kontext anschauen. In was für einer Gesellschaft findet welche Berichterstattung statt?
Im Vietnamkrieg war es wichtig, durch brutale Bilder aufzurütteln. Innerhalb der USA gab es da ein sehr unkritisches Verhältnis zu den Vereinigten Staaten als Kriegspartei. Und erst durch Bilder, wie beispielsweise dieses sehr bekannte Bild von Nick Ut, der Kinder fotografierte, die vor einem Bombenangriff weglaufen, haben sich die Protestbewegungen in Gang gesetzt. So haben Menschen überhaupt erst Widerstand gegen den Krieg formiert.
Heute sind wir, denke ich, in einer anderen Situation. Wir haben hier in Europa ein ziemlich klares Verständnis davon, dass Krieg schlecht ist und das, was in der Ukraine passiert, nicht passieren sollte, dass wir dringend etwas tun müssen. Die großen Fragen sind vielmehr: Welche Maßnahmen wollen wir ergreifen und sind wir auch bereit, unbequeme Maßnahmen durchzusetzen, beispielsweise was Wirtschaftssanktionen betrifft? Da sehe ich nicht die Notwendigkeit von brutalen Bildern.
Journalist*innen sind neben Ersthelfenden, medizinischem Personal und Grenzpersonal eine der ersten Gruppen, die in Krisensituationen oder in Katastrophen da sind. Doch oft sind sie sich ihrer Verantwortung im Umgang mit traumatisierten Menschen und dieser psychologischen Komponente nicht bewusst. Was wären denn Ansätze für Redaktionen, Journalist*innen besser zu schulen?
Wichtig wäre, Kenntnisse in Richtung Krisenintervention und ‐kommunikation zu vermitteln, damit man auch lernt zu verstehen, wie Krisen funktionieren. Nicht zuletzt, weil durch falsches Fragen Traumatisierungen noch einmal verstärkt werden können.
Immer wieder hört man das Argument: Die Angehörigen der Verstorbenen haben ja eingewilligt, dass diese Bilder gezeigt werden. Nur kann man nicht von einer wirklich autonomen Entscheidung sprechen, weil die Menschen in solchen Sondersituationen emotional so am Rand dessen sind, was sie überhaupt noch ertragen können. Da kann man natürlich nicht davon ausgehen, dass sie eine rationale Entscheidung treffen. Menschen sind in besonders belastenden Situationen auch eher bereit, intime Dinge zu erzählen. Die lassen sich zwar gut vermarkten, aber die betroffene Person wird es im Nachhinein vielleicht bereuen, diese Dinge preisgegeben zu haben.
Deshalb braucht es Journalist*innen, die bereit sind, aus Respekt der Person gegenüber zugunsten des Berichtobjekts zu entscheiden und auf eigene wirtschaftliche oder berufliche Vorteile zu verzichten. Es braucht Systeme, die eben solches verantwortliches journalistisches Handeln fördern und belohnen. Einzelne, die auf eine sensationsorientierte Berichterstattung verzichten und darauf, die Emotionen von den betroffenen Menschen auszubeuten, sollten keine Nachteile haben.
Welche Emotionen werden dur...
Nicht nur Pille, bitte
ndAktuell
03/04/22 • 26 min
Den Moment bei der Frauenärztin, beide Beine weit gespreizt und eines der intimsten Körperteile entblößt, den fand ich schon immer etwas unangenehm, besonders als Jugendliche. Als ich 18 Jahre alt war, war ich mal wieder in genau dieser unangenehmen Situation. Seit vier Monaten war meine Periode ausgeblieben, an den Besuch bei der Gynäkologin führte kein Weg mehr vorbei. »Kein Wunder kriegen Sie ihre Periode nicht mehr, Sie sind viel zu dünn«, quäkte mich die Ärztin an. »Kriegen Sie besser jetzt Kinder, sonst wird das nichts mehr.« Ich war geschockt. Laut BMI war ich weder unter-, noch übergewichtig. Ich war gerade dabei das Abitur zu machen. Ein Kind zu bekommen kam mir in diesem Lebensabschnitt unpassend vor. Damit ich wieder eine Blutung bekomme, bekam ich ein Rezept für die Pille in die Hand gedrückt. Ich war irritiert.
Nach etwa eineinhalb Jahren war ich von den starken Nebenwirkungen der Pille genervt und hatte sieben Kilo mehr auf der Waage. Ich wollte endlich wissen, was für eine Zyklusstörung ich hatte und beantragte bei meiner Gynäkologin meine Patientinnenakte, um die Praxis zu wechseln. Da stand es dann ganz fett auf dem Befund: polyzystisches Ovarialsyndrom, kurz PCOS. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Nach Recherche, Arztbesuchen und einem Termin in der sogenannten »Kinderwunschabteilung« eines Universitätsklinikums begann ich zu verstehen, was da alles dranhängt: PCOS ist eine Hormonstörung, die schätzungsweise fünf bis zehn Prozent aller cis Frauen im gebärfähigen Alter haben. Gesprochen wird darüber kaum, vielleicht auch weil die Symptome nicht ins gängige Repertoire eines Small Talks passen: Pickel, fettige Haut, zu wenig Haare auf dem Kopf, dafür zu viele am Körper und im Gesicht, Gewichtszunahme, einen seltenen Eisprung und somit unter Umständen auch Unfruchtbarkeit.
Die medizinische Erklärung ist komplex. Männliche Hormone werden in den Eierstöcken überproduziert, deshalb kommt es verzögert oder gar nicht zur Eizellreifung, was sich wiederum auf den Eisprung auswirkt. Außerdem gibt es einen ganzen Pool an Begleiterscheinungen wie beispielsweise Schilddrüsenunterfunktion oder Insulinresistenz, was sich wiederum auf das Körpergewicht auswirkt. Viele von PCOS betroffene Frauen sind deshalb übergewichtig. Ich bin nicht übergewichtig, muss aber ständig auf meine Ernährung achten. Medizinische Beratung zu bekommen ist schwierig. Das verwundert mich immer wieder aufs Neue. Von allen Gynäkologinnen, bei denen ich bisher wegen PCOS war, habe ich ein Pillenrezept in die Hand gedrückt bekommen. Mehr könne man eben nicht machen. Und das, obwohl ich jedes Mal betont habe, dass ich die Antibabypille nicht vertrage. Wie mir geht es vielen anderen jungen Frauen. In den letzten Jahren hat die Zahl an Onlineforen oder PCOS-Bloggerinnen enorm zugenommen. Betroffene beraten sich gegenseitig und teilen ihr Wissen. Für stolze Preise werden Seminare und E-Books angepriesen, geschrieben von Betroffenen meist ohne medizinische Ausbildung.
Ich wundere mich sehr, wie wenig diese weit verbreitete Frauenkrankheit von unserem Gesundheitssystem beachtet wird, dann aber von Geschäftsfindigen als Einkommensquelle umfunktioniert wird. Mit einer Ernährungsumstellung und einigem Wissen über PCOS lässt sich die Intensität mindern. Deswegen finde ich, dass jede Betroffene als Krankenkassenleistung ein Anrecht auf Informationen haben sollte und darauf, mehr als nur ein Pillenrezept in die Hand gedrückt zu bekommen.
Allergisch auf Bekenntniszwang
ndAktuell
01/28/22 • 47 min
Als Einstieg vorhersehbar aber unvermeidbar: Wie seid ihr bis jetzt durch die Pandemie gekommen?
Jan Müller: Natürlich ist das eine schwere Zeit, die auch mit erheblichen finanziellen Einbußen für uns verbunden gewesen ist. Aber ich finde eigentlich nichts schlimmer als dieses Rumgejammere. Es geht um ein Virus und nicht um etwas, das sich jemand irgendwo ausgedacht hat. Zugegeben, wir sind ganz gut durch das erste Jahr gekommen. Wir haben erst am neuen Album gearbeitet und dann ein paar pandemiekonforme Konzerte spielen können. Aber, das kann ich ja in einer politischen Zeitung sagen: Ich habe mich sehr über die FDP geärgert und darüber, was die angerichtet hat. Obwohl ich mich sonst von parteipolitischen Erwägungen fernhalte.
Ihr hattet euch dem von der Band »Die Ärzte« gestarteten Impfaufruf angeschlossen und euren Song »Pure Vernunft darf niemals siegen« abgewandelt. Also das ganze Gegenteil zu den allesdichtmachen-Videos einiger Schauspieler*innen. So klar aufseiten der Staatsräson hat man euch noch nie erlebt, oder?
Jan Müller: Zunächst mal muss ich sagen, bin ich sehr froh über unsere Berufsgruppe. Weil man bei Musikerinnen und Musikern eine sehr große Disziplin feststellen konnte, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Und das, obwohl sie eine Gruppe sind, die am härtesten betroffen ist, viel härter als die größtenteils sehr berühmten Schauspieler, die sich an »allesdichtmachen« beteiligt hatten.
Wenn man bei so etwas wie dem Impfaufruf mitmacht, schlägt einem sofort auch viel Hass von Fanatikern entgegen. Und es fällt schwer, das einfach zu ignorieren, denn das sind ja nicht nur Trollarmeen oder Bots, sondern mitunter auch Fans. Am schlimmsten ist diese pseudo-linke Rhetorik: »Ihr lasst euch vor den Karren der Pharmaindustrie spannen.« Ich finde das so verblendet, wie die Menschen da argumentieren.
Dirk von Lowtzow: Die scherzhafte Abwandlung des Songs war ja bewusst milde und antiautoritär gemeint. Man möchte bei dem Thema nicht predigen, obwohl man allen Grund dazu hätte. Erschreckend eigentlich, wie weit verbreitet diese Verharmlosung oder Leugnung bei Menschen ist, von denen man das eigentlich nicht angenommen hätte. Aber es gibt eben keine Gesinnungsprüfung beim Hören unserer Musik.
In der Presseankündigung zu eurem neuen Album heißt es, es sei ein Trostspender in der Hoffnungslosigkeit. Das ist sehr fürsorglich gegenüber euren Hörer*innen.
Dirk von Lowtzow: Es ging in der Ankündigung um die heilende Kraft von Musik. Deshalb steht auch dieses Zitat von dem Freejazzer Albert Ayler dabei: »Music Is the Healing Force of the Universe.« Was so ein toller Satz ist.
Es gibt etwas bei Musik, das wir alle sehr mögen, das man vor allem bei Gruppen wie The Velvet Underground findet, dass Songs eine solche Nähe erzeugen. Manchmal auch nur durch die Form, durch die Aufnahme, durch die Art, wie der Gesang klingt oder die Gitarren, sodass man das Gefühl hat, jemand legt eine Hand tröstend auf jemandes Schulter. Das finde ich als Songwriter ganz schwer zu erreichen. Und wenn man das erreicht hat, dann ist man sehr sehr glücklich.
Jan Müller: Man kann sich ruhig den emotionalen Zugang zu unserer Musik trauen. Wir haben oft das Gefühl, dass wir so einen intellektuellen Nimbus haben. Das ehrt uns ja - aber es ist im Endeffekt Musik.
Stichwort Emotionen. Im Titelsong zum Album heißt es »Nie wieder Krieg in dir, in uns, in mir«. Das klingt so nach Achtsamkeit.
Dirk von Lowtzow: Also da würde ich gerne sofort widersprechen! Das ist so ein Wort, das ich absolut verabscheue. Da steckt ein neoliberaler Begriff von Selbstoptimierung und Selfcare darin, den ich ablehne.
Beim »nd« kann man ja mit Dostojewski etwas anfangen - also für mich steckt in »Nie wieder Krieg!« diese innere emotionale Spannung, unter der auch Dostojewskis Figuren stehen. Und die wünschen sich dann unter so einem Begriff so etwas wie Gnade. Ich will das jetzt nicht vorgeben, aber der Begriff Achtsamkeit ist scheußlich.Achtsamkeit war nicht im Lifestyle-Sinn gemeint, sondern es klingt nach dem Abschwören vom Hass, der ja auch immer Teil eurer Musik war.
Dirk von Lowtzow: Es gibt immerhin ein Stück auf dem neuen Album, das heißt »Ich hasse es hier«.
Das ist wahr. Also noch mal anders: Die Textzeile klingt wie die Hinwendung ...
»Mein Mandat ist euer Mandat«
ndAktuell
04/25/21 • 36 min
Sie leben in der Nähe des Braunkohletagebaus Garzweiler. Inwiefern sind Sie persönlich vom Kohleabbau betroffen?
Auf zwei Ebenen: Auf der einen merke ich, seit ich politisch aktiv geworden bin, immer mehr, wie wichtig es ist, sich mit denen anzulegen, die aus fossilen Energieträgern Strom erzeugen. Das kann auch immer wieder weh tun, wenn man dabei Repressionen ausgesetzt ist. Auf der anderen Seite erlebe ich, dass diese andere Welt, von der wir träumen, sehr wohl möglich ist, weil wir die schon selbst leben.
Was für eine andere Welt meinen Sie?
Eine Welt, in der wir die Grenzen unserer Erde respektieren und das, was die Ökosysteme uns geben können, sozial gerecht teilen. In der wir Klimamaßnahmen daran ausrichten, dass es wirklich allen Menschen gut geht und nicht nur uns im globalen Norden. Dafür ist es wichtig, dass nicht länger ein sehr kleiner weißer, reicher und männlicher Teil der Weltbevölkerung über das Schicksal aller entscheidet.
Und wie leben Sie die neue Welt?
In der Klimabewegung, beispielsweise im Bündnis Ende Gelände, wurden zum Beispiel Strukturen geschaffen, die für eine andere, solidarische Gesellschaft Vorbild sein können. Hier werden im Konsens Entscheidungen getroffen und es wird versucht, Feminismus ernsthaft zu leben. Daraus schöpfe ich meine Kraft und meinen Willen weiterzukämpfen.
Gibt es Menschen, die ihre Dörfer wegen des Kohleabbaus verlassen?
Ja, das erleben wir gerade in Lützerath. Das ist ein Dorf hier am Tagebau Garzweiler. Der Bagger steht jetzt schon ungefähr 200 Meter davor. Im Herbst hat RWE angefangen, dort die Bäume zu roden und hat dann um Lützerath herum alles zerstört. Im Januar haben sie begonnen, Häuser im Ort zu zerstören.
Wie sieht es dort jetzt aus?
Ein Bauernhof und die meisten Häuser stehen noch. Es wurde begonnen, im Lützerather Wald Baumhäuser zu bauen. Es gibt dort Menschen, die versuchen, sich nicht von RWE einschüchtern zu lassen und die bleiben wollen. Besonders ein Bauer, der sagt: Ich gehe hier nicht weg und ich kämpfe jetzt darum, auch vor Gericht. Das finde ich sehr mutig und beeindruckend. Gleichzeitig ist es hart zu erleben, wie immer mehr Bewohner bereits ihre Häuser verlassen.
Was für Folgen hat das?
Der Zusammenhalt im Dorf ist sehr gefährdet, weil es Konflikte gibt zwischen denen, die gehen und denen, die bleiben wollen. Solidarische Strukturen werden von außen zerstört. Übrigens erlebt man das auch in anderen Regionen der Welt, wo es Tagebaue gibt. Zum Beispiel werden im Norden Kolumbiens, wo Steinkohle abgebaut wird, Dörfer zwangsumgesiedelt, und dort gibt es ähnliche Konflikte. Ich möchte jetzt auch politisch gegen diese Verflechtung von fossiler Industrie und Politik kämpfen.
Sie wollen diesen Kampf für den Kohleausstieg jetzt auch im Bundestag führen, kandidieren auf Platz 20 der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Waren Sie schon mal bei den Grünen aktiv?
Ja, da war ich 15 Jahre alt. Ich habe damals nach einer Gruppe gesucht, wo ich zu allen möglichen Themen aktiv sein konnte, und in meiner Stadt gab es die Grüne Jugend. Da habe ich unglaublich viel gelernt: wie politisch gearbeitet wird, wie Kampagnen gemacht werden und wie ich Öffentlichkeitsarbeit koordiniere.
Der Listenplatz 20 ist ziemlich weit hinten.
Nein. Das ist ein sehr sicherer Platz. Nach den momentanen Hochrechnungen werde ich locker in den Bundestag ziehen.
Was für Reaktionen kamen aus der Klimabewegung auf Ihre Kandidatur?
Meine Bezugsgruppen waren alle vorher informiert. Was ich schön finde, ist, dass sehr junge Menschen zu mir kommen und sagen: Das ist cool. Das bestärkt mich in meiner Entscheidung. Zudem melden sich auch sehr viele Umweltgruppen: auf internationaler, Bundes- und lokaler Ebene. Sie machen konkrete Vorschläge. Viele Initiativen nehmen also mein Angebot schon an, denn ich habe gesagt: Mein Mandat ist euer Mandat, wir machen gemeinsam im Bundestag Politik. Mein Büro wird immer offen stehen für Umweltgruppen und Bündnisse.
Ist es für die Klimabewegung nicht ein Verlust, wenn Sie sich dort künftig weniger einbringen können?
Was ich an Bündnissen wie Ende Gelände liebe, ist, dass sie viel Wert auf die Weitergabe von Wissen legen, damit es nie an einzelnen Personen hängt. Ich freue mich immer unglaublich, wenn ich sehe, wie die neue Generation von Frauen die Arbeit auf ihre ganz eigene Art macht. Die Bewegung wird von so vielen Menschen getragen, deswegen sollte sie auch von so vielen wie möglich repräsentiert werden. Und ich bin ja nicht weg. Im Bundestag werde ich einfach auf eine andere Art weiterarbeiten, aber mit den gleichen Zielen. Es ist wichtig, dass wir in der Bewegung auf vielfält...
Kubas Kampf gegen den Klimawandel
ndAktuell
03/24/21 • 27 min
03/18/21 • 33 min
Frau Dornheim, Sie kandidieren für die Berliner Grünen für den Bundestag und haben vor Kurzem öffentlich gemacht, dass Sie schwanger sind. Wieso?
Es hat einen guten Grund: Ich sehe meine Parteikolleg*innen seit einem Jahr quasi auch nur vom Scheitel zur Schulter auf Videokonferenz-Bildschirmen. Die Aufstellungsversammlung für die Landesliste ist bei uns am Sonntag. Wir müssen dort persönlich erscheinen. Ich wollte einfach nicht, dass wenn mich dann alle sehen, sie überrascht sind und nur noch über meinen Bauch reden. Deswegen mache ich meine Schwangerschaft öffentlich und erkläre auch, dass es nicht total wahnsinnig ist, hochschwanger in den Wahlkampf zu gehen, sondern dass ich mir was dabei gedacht habe.
Was für Reaktionen haben Sie darauf bekommen?
Die waren durch die Bank sehr positiv und sehr schön. Es gab viele Glückwünsche und auch ein paar Nachrichten von Leuten, gerade auch Frauen, die geschrieben haben, dass sie es total beeindruckend finden und sich freuen, dass es so Leute gibt wie mich, die mit dem Kopf durch die Wand gehen. Es gab auch eine Nachricht von einem Vater, der sich freut, dass es auch andere Männer gibt, die volle zwölf Monate Elternzeit machen – mein Partner nämlich. Zudem gab es ein oder zwei Nachrichten von Bundestagsabgeordneten, die mir gleich Unterstützung angeboten haben und geschrieben haben, dass es einen Still- und Kinderraum gibt im Bundestag.
Sie haben gerade gesagt, ihr Partner wird zwölf Monate Elternzeit nehmen. Wie lange planen Sie in Elternzeit zu gehen?
Tatsächlich gar nicht. Es gibt ja den Mutterschutz vor und nach der Geburt, den möchte ich schon, so gut es geht, ausschöpfen. Also ein paar Wochen vor und zwei Monate nach der Geburt. Da möchte ich mir sehr gerne ein bisschen intensiver Familienzeit nehmen. Anschließend möchte ich mich in den Wahlkampf stürzen und hoffentlich, wenn alles gut geht, in den Bundestag einziehen.
Sie bekommen bald ihr zweites Kind. Aber eins ihrer politischen Herzthemen ist die Streichung des Paragrafen 218, der Abtreibung grundsätzlich unter Strafe stellt.
Es ist kein Aber. Ein Großteil der Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden im Leben, hat schon Kinder oder bekommt noch welche. Das ist für mich kein Widerspruch und ein Teil des großen elementaren Kampfes für gute reproduktive Rechte. Also für das Recht, selbst bestimmen zu können, wann und wie man Kinder bekommt – oder auch nicht. Und Schwangerschaftsabbrüche legal und sicher zu ermöglichen, ist für mich ein ganz essenzieller Teil von Gleichberechtigung. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland möglich, aber, wie Sie gerade gesagt haben, offiziell ist es immer noch ein Straftatbestand.
Was ist problematisch daran?
Ich habe nicht nur über meine Schwangerschaft öffentlich gesprochen. Ich habe auch schon vor ein paar Jahren öffentlich darüber geschrieben und gesprochen, dass ich auch schon eine Schwangerschaft abgebrochen habe. Als Feministin war mir immer klar, dass die Legalisierung von Abbrüchen ein wichtiges Thema ist. Aber als ich selber in der Situation war, hat es mich noch mal ganz anders erwischt. Jedes Mal, wenn ich daran denke, dass es immer noch im Strafgesetzbuch geregelt ist, wo Mord und Raubüberfall geregelt sind, werde ich einfach nur wahnsinnig wütend.
Warum?
Es gibt kein Gesetz, das in das Leben von Männern so eingreift, wie es die deutsche gesetzliche Lage zum Schwangerschaftsabbruch im Fall von Frauen macht. Als ich zu diesem Beratungsgespräch mit einer wildfremden Person gehen und dann drei Tage warten musste – weil als Schwangere, in diesem Umstand, kann man ja quasi meiner Entscheidung nicht vertrauen, sondern muss mir eine Bedenkfrist auferlegen –, habe ich mich so ohnmächtig und bevormundet gefühlt. Wie ein Mensch zweiter Klasse. Ich hoffe sehr, dass ich noch erlebe, dass dieser Paragraf abgeschafft wird und dass dieser 150 Jahre alte Kampf bald zu Ende geht.
Der Paragraf 219a verbietet Ärzt*innen umfassend über Abtreibungen zu informieren, trotz Reform durch die GroKo.
Diese Reform ist immer noch, mit Verlaub, eine Verarschung. Jetzt dürfen Ärztinnen und Ärzte auf ihrer Website schreiben, dass sie Abbrüche vornehmen, aber keinen Piepston weiter dazu. Und auch da wieder, es gibt keinen anderen medizinischen Eingriff, über den man nicht informieren darf. Also erst recht als Arzt/Ärztin. Wenn ich mir die Mandeln entfernen lasse, kann ich auch mich online bei der Praxis meines Vertrauens irgendwie darüber informieren, wie diese Operation abläuft. Also was gibt es für Risiken, was gibt es für Nebenwirkungen. Wir leben im 21. Jahrhundert, da ist es einfach Standard, dass ich diese Informationen auch bei dem und derjenigen finde, die es durchführt. Und das ist für Gynäkolog*innen und Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, immer noch v...
Show more best episodes
Show more best episodes
FAQ
How many episodes does ndAktuell have?
ndAktuell currently has 19 episodes available.
What topics does ndAktuell cover?
The podcast is about News and Podcasts.
What is the most popular episode on ndAktuell?
The episode title 'Kein Ende der Kriege?' is the most popular.
What is the average episode length on ndAktuell?
The average episode length on ndAktuell is 26 minutes.
How often are episodes of ndAktuell released?
Episodes of ndAktuell are typically released every 31 days, 23 hours.
When was the first episode of ndAktuell?
The first episode of ndAktuell was released on Apr 30, 2020.
Show more FAQ
Show more FAQ