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Lyrikschule

Lyrikschule

Johannes Thiele

Gedichte verstehen Der Podcast verbindet Gedichtrezitation und Deutungsansätze zu den Texten. Damit soll ein erster Verstehenszugang ermöglicht werden. Die Textauswahl umfasst sämtliche Epochen der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart und nimmt sowohl sehr bekannte als auch weniger bekannte Texte in den Blick.
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Top 10 Lyrikschule Episoden

Goodpods hat eine Liste der 10 besten Lyrikschule Episoden kuratiert, sortiert nach der Anzahl der Hörvorgänge und Likes, die jede Episode von unseren Hörern erhalten hat. Wenn du Lyrikschule zum ersten Mal hörst, gibt es keinen besseren Ort, um zu beginnen, als mit einer dieser herausragenden Episoden. Wenn du ein Fan der Sendung bist, stimme für deine Lieblings-Lyrikschule Episode ab, indem du deine Kommentare auf der Episodenseite hinzufügst.

Gibt es eine Welt außerhalb unseres Geistes - oder ist vielmehr jeder Einzelne der Schöpfer seines eigenen Universums, seiner eigenen Realität. Diesen Gedanken hat Hermann Hesse kunstfertig in Verse gebannt. Mit meinem Gast für diese Folge, Jan-Henrik Flecke, spreche ich über die Deutungsmöglichkeiten dieses philosophisch-lyrischen Textes. Gerade für Jugendliche enthält er spannende Botschaften, ist aber eigentlich in jedem Alter mit Gewinn zu lesen. Genau das zeichnet große Literatur aus.

Hermann Hesse

Die Welt unser Traum

Nachts im Traum die Städt‘ und Leute,

Ungeheuer, Luftgebäude,

Alle, weißt du, alle steigen

Aus der Seele dunklem Raum,

Sind dein Bild und Werk, dein eigen,

Sind dein Traum.

Geh am Tag durch Stadt und Gassen,

Schau in Wolken, in Gesichter,

Und du wirst verwundert fassen:

Sie sind dein, du bist ihr Dichter!

Alles, was vor deinen Sinnen

Hundertfältig lebt und gaukelt,

Ist ja dein, ist in dir innen,

Traum, den deine Seele schaukelt.

Durch dich selber ewig schreitend,

Bald beschränkend dich, bald weitend,

Bist du Redner und Hörer,

Bist du Schöpfer und Zerstörer.

Zauberkräfte, längst vergeßne,

Spinnen heiligen Betrug,

Und die Welt, die unermeßne,

Lebt von deinem Atemzug.

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Der Wald ist ein wichtiges Motiv in der Literatur: Mal mystischer Ort, mal nüchtern betrachtete Ansammlung von Bäumen, mal Gegenwelt zur Stadt und dann auch Ort der Ängste des Menschen. In dieser Folge werden drei Waldgedichte besprochen, die vor allem die dunkle Seite des Waldes hervorheben und unsere Angst als Menschen in ihm.

Der Text zum Erlkönig:

https://de.wikisource.org/wiki/Erlk%C3%B6nig

Essay: Schuberts Erlkönig - Spur einer Vergewaltigung (Georg Friedrich Haas)

https://van-magazin.de/mag/georg-friedrich-haas-schuberts-erlkoenig/

Böser Ort (Christian Friedrich Hebbel) zwischen 1838 und 1843

Ich habe mich ganz verloren,

Wie ist hier Alles stumm!

Es drängen die schwarzen Bäume

Sich tückisch um mich herum.

Sie wollen mich nicht mehr lassen,

Mich aber treibt es fort,

Man spricht von bösen Orten,

Dieß ist ein böser Ort!

Hier ist schon Böses geschehen,

Und hier muß mehr gescheh'n,

Wird's nicht an ihm begangen,

So muß es der Mensch begeh'n.

Die Blumen, so hoch sie wachsen,

Sind blaß hier, wie der Tod,

Nur Eine in der Mitte

Steht da in dunklem Roth.

Die hat es nicht von der Sonne,

Nie traf sie deren Glut,

Sie hat es von der Erde,

Und die trank Menschenblut!

Du sollst dich nicht länger brüsten

Auf meines Bruders Grab

In deinem gestohl'nen Purpur,

Ich räch' ihn und breche dich ab!

Dort liegt sie zu meinen Füßen!

Da schwingt ein Vogel sich,

Setzt sich mir gegenüber

Und pfeift und verspottet mich.

»Jetzt läßt der Ort dich weiter,

Da ihm sein Recht geschah,

Du hast die Blume getödtet,

Es war nichts Anders da.«

Im Walde (Theodor Fontane) 1840

Der Wald wird immer dichter und dunkler wird die Nacht;

„Was bäumst du dich, mein Rappe, was hat dich scheu gemacht?

Du siehst wohl rings am Wege die Trauerweiden stehn

Und ahnst, dass in dem Walde gar Arges schon geschehn!“

Wie schaurig Geisterklänge durch alle Wipfel ziehn,

Gespenstisch Riesenschatten an mir vorüberfliehn,

Die alten Föhren starren mich düstren Blickes an

Und wehren mit den Armen mir späten Reitersmann.

Doch mit geschärften Sinnen trabt Ross und Reiter fort,

Und düstrer wird’s und stiller rings an dem Schreckensort;

Da plötzlich hellt das Dunkel des Mondes blasser Schein,

Da stört die Grabesstille des Birkhuhns heisres Schrein.

Mein Herz klopft immer stärker an meine bange Brust,

Schon reit ich schnell und schneller mir selber unbewusst,

Da stutzt mein Ross aufs neue vor einem Kreuz von Stein,

Dort soll vor vielen Jahren ein Mensch erschlagen sein.

Mein Auge schließt sich krampfhaft, mein Blut erstarrt zu Eis.

Das Blut des Rappen rieselt aus Sporenwunden heiß.

So jag ich, bis der Morgen die düstre Nacht gebleicht,

Bis ich den Rettungshafen, des Waldes Saum, erreicht.

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Der heutige Text thematisiert den Kalten Krieg aus einer ungewohnten Perspektive: Mit Blick auf die Natur. Auch wenn er in einer politisch vergangenen Periode geschrieben wurde, ist dieser Text nichtsdestotrotz aktuell und übertragbar auf unsere Gegenwart. Hans Magnus Enzensberger[1]: das ende der eulen (1960)

ich spreche von euerm nicht,
ich spreche vom ende der eulen,
ich spreche von butt und wal,
in ihrem dunkeln haus.
dem siebenfältigen meer,
von den gletschern,
sie werden kalben[2]zu früh,
rab und taube, gefiederten zeugen
von allem was lebt in den lüften
und wäldern, und den flechten im kies
vom weglosen selbst, und vom grauen moor
und leeren gebirgen.

auf radarschirmen leuchtend
zum letzten mal, ausgewertet
auf meldetischen[3], von antennen
tödlich befingert floridas sümpfe
und das sibirische eis, tier
und schilf und schiefer erwürgt
von warnketten, umzingelt
vom letzten manöver, arglos
unter schwebenden feuerglocken[4],
im ticken des ernstfalls.

wir sind schon vergessen,
sorgt euch nicht um die waisen,
aus dem sinn schlagt euch
die mündelsichern[5]gefühle.
den ruhm, die rostfreien psalmen[6].
ich spreche nicht mehr von euch,
planern der spurlosen tat,
und von mir nicht, und keinem.
ich spreche von dem was nicht spricht,
von den sprachlosen zeugen,
von ottern und robben,
von den alten eulen der erde.

[1]Enzensberger wurde 1929 geboren. Er ist Publizist, Dichter, Übersetzer und politisch engagierter Essayist.

[2]‚Kalben‘ bezeichnet das Abbrechen größerer Eismassen von im Meer endenden Gletschern

[3]Meldetische = Verweist auf militärische Operationszentralen

[4]Feuerglocke = Atompilz

[5]Mündelsicher = Für die Zukunft abgesichert

[6]Psalm = Religiöse Textform

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Gedichte müssen sich nicht nur mit den idyllischen Fleckchen des Lebens befassen. Bestimmte Epochen und Autoren neigen auch gerade dazu, das Morbide in den Fokus zu nehmen. Das gilt besonders für die Zeit des Barock - geprägt durch die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges und sein modernes Pendant den Expressionismus. In dieser Folge werden zwei expressionistische Klassiker präsentiert, literaturgeschichtlich eingeordnet und interpretiert.

Kleine Aster (Gottfried Benn)

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
lrgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!

Ophelia I (Georg Heym)

Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,

Und die beringten Hände auf der Flut

Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten

Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,

Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.

Warum sie starb? Warum sie so allein

Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?

Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht

Wie eine Hand die Fledermäuse auf.

Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht

Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,

Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal

Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint

Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint

Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.

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Lyrikschule - Folge 41 - Die Brück' am Tay (Fontane)
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02/04/22 • 15 min

Fontanes Balladen sind bis heute integraler Bestandteil des Deutschunterrichts. Doch wie kam es, dass sie sich über eine so lange Zeit halten konnten? Am Beispiel der Brück' am Tay wird verdeutlicht, welche Qualität diese Texte auch heute noch haben.

Theodor Fontane: Die Brück’ am Tay

When shall we three meet again?
Macbeth

»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um die siebente Stund‘,

am Brückendamm.«
»Am Mittelpfeiler.«
»Ich lösche die Flamm.«

»Ich mit.«

»Ich komme vom Norden her.«
»Und ich vom Süden.«
»Und ich vom Meer.«
»Hei, das gibt einen Ringelreihn,

Und die Brücke muß in den Grund hinein.«

»Und der Zug, der in die Brücke tritt
Um die siebente Stund’?«
»Ei, der muß mit.«
»Muß mit.«

»Tand, Tand

Ist das Gebilde von Menschenhand!«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu,

Sehen und warten, ob nicht ein Licht
Übers Wasser hin »Ich komme« spricht,
»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.«

Und der Brückner jetzt: »Ich seh’ einen Schein

Am anderen Ufer. Das muß er sein.

Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,

Unser Johnie kommt und will seinen Baum,
Und was noch am Baume von Lichtern ist,

Zünd’ alles an wie zum heiligen Christ,

Der will heuer zweimal mit uns sein, —
Und in elf Minuten ist er herein.«

Und es war der Zug. Am Süderturm
Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
Die bleiben Sieger in solchem Kampf.
Und wie’s auch rast und ringt und rennt,

Wir kriegen es unter, das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück’;
Ich lache, denk’ ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;

Wie manche liebe Christfestnacht

Hab’ ich im Fährhaus zugebracht
Und sah unsrer Fenster lichten Schein
Und zählte und konnte nicht drüben sein.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu;
Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel’,

Erglüht es in niederschießender Pracht

Überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.
»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm,«
»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«

»Ich komme.«

»Ich mit.«
»Ich nenn’ euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.«
»Und ich die Qual.«

»Hei!

Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
»Tand, Tand
Ist das Gebilde von Menschenhand.«

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Lyrikschule - Folge 78 - Queere Lyrik - August von Platen
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06/26/24 • 32 min

Diese Folge ist dem Pride Month entsprechend queerer Lyrik gewidmet und zeichnet anhand ausgewählter Sonette August von Platens einige typische homoerotische Denk- und Gefühlsmuster nach.

August von Platen: Die Sonette - Männerschwarm-Verlag

https://www.maennerschwarm.de/buch/die-sonette/

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Walther von der Vogelweide ist fraglos der bekannteste deutsche Minnesänger und wenn in der Schule bereits ein Text von ihm gelesen wird, dann am ehesten wohl das 'Lindenlied'. Doch warum eigentlich? Was zeichnet diesen Text aus, dass er sich als kanonisch etablieren konnte?

Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse):

https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0256/image,info

Under der linden

Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
Dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
Vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen
zuo der ouwe:
dô was mîn friedel komen ê.
Dâ wart ich empfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin saelic iemer mê.
Kuster mich? wol tûsentstunt:
tandaradei,
seht wie rôt mir ist der munt.

Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
Des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
Bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir laege,
wessez iemen
(nu enwelle got!), sô schamt ich mich.
Wes er mit mir pflaege,
niemer niemen
bevinde daz, wan er und ich.
Und ein kleinez vogellîn:
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

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Was macht ein formvollendetes Gedicht aus? Und warum inspirieren gerade römische Brunnen zwei so hochkarätige Autoren wie C.F. Meyer und Rilke? Diesen Fragen soll heute nachgegangen werden.

Conrad Ferdinand Meyer

Der römische Brunnen
(7. Version, 1882)

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt

Er voll der Marmorschale Rund,

Die, sich verschleiernd, überfließt

In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich,

Der dritten wallend ihre Flut,

Und jede nimmt und gibt zugleich

Und strömt und ruht.

Rom: Springquell

(1. Version, 1860)

Es steigt der Quelle reicher Strahl

Und sinkt in eine schlanke Schal'.

Das dunkle Wasser überfließt

Und sich in eine Muschel gießt.

Es überströmt die Muschel dann

Und füllt ein Marmorbecken an.

Ein jedes nimmt und gibt zugleich

Und allesammen bleiben reich,

Und ob's auf allen Stufen quillt,

So bleibt die Ruhe doch im Bild

Der Brunnen

(2. Version, 1862)

In reichem Strahle steigt der Quell

Und sinkt in eine Muschel hell,

In eine breite Schale gießt

Die Muschel, was zu viel ihr ist,

Es überströmt die Schale dann

Und füllt ein Marmorbecken an,

Und alle Stufen bleiben reich,

Denn jede gibt und nimmt zugleich,

Und wenn es allenthalben quillt,

So ist es doch ein ruhig Bild.

Der Brunnen

(4. Version, 1865)

In einem römischen Garten

Verborgen ist ein Bronne,

Behütet von dem harten

Geleucht der Mittagssonne,

Er steigt in schlankem Strahle

In dunkle Laubesnacht

Und sinkt in eine Schale

Und übergießt sie sacht.

Die Wasser steigen nieder

In zweiter Schale Mitte

Und voll ist diese wieder,

Sie fluten in die dritte:

Ein Nehmen und ein Geben,

Und alle bleiben reich,

Und alle Fluten leben

Und ruhen doch zugleich

Rainer Maria Rilke

Römische Fontäne

Borghese

Zwei Becken, eins das andre übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

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Manchmal überkommt uns das Gefühl, dass wir und unser Handeln folgenlos, unwichtig und irrelevant sind. Schon im Sisyphus-Mythos kommt diese Idee zum Tragen. Hilde Domin, die Dichterin des Dennoch, widmet sich im heutigen Text genau dieser Erfahrung und setzt ihr eine kleine trotzige Hoffnung entgegen.

Wie wenig nütze ich bin

Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.
Die Zeit verwischt mein Gesicht,
sie hat schon begonnen.
Hinter meinen Schritten im Staub
wäscht der Regen die Straße blank
wie eine Hausfrau.
Ich war hier.
Ich gehe vorüber
ohne Spur.
Die Ulmen am Weg
winken mir zu wie ich komme,
grün blau goldener Gruß,
und vergessen mich,
eh ich vorbei bin.
Ich gehe vorüber -
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume im Abend
auf einem Stückchen Papier.
Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.

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Der Umbruch von einer Epoche zur nächsten ist selten so gut zu beobachten wie in Heines ironisch-romantischen Gedichten. Die Literatur der 'Kunstperiode' wird damit begraben. Ihr folgt eine kurze aber intensive Zeit politischer Lyrik, zu deren Vordenkern Heine gehört.

Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Die schlesischen Weber

Im düstern Auge keine Thräne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöthen;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt,
Und uns wie Hunde erschießen läßt –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulniß und Moder den Wurm erquickt –
Wir weben, wir weben!
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!

Altes Kaminstück

Draußen ziehen weiße Flocken
Durch die Nacht, der Sturm ist laut;
Hier im Stübchen ist es trocken,
Warm und einsam, stillvertraut.

Sinnend sitz ich auf dem Sessel,
An dem knisternden Kamin,
Kochend summt der Wasserkessel
Längst verklungne Melodien.

Und ein Kätzchen sitzt daneben,
Wärmt die Pfötchen an der Glut;
Und die Flammen schweben, weben,
Wundersam wird mir zu Mut.

Dämmernd kommt heraufgestiegen
Manche längst vergeßne Zeit,
Wie mit bunten Maskenzügen
Und verblichner Herrlichkeit.

Schöne Fraun, mit kluger Miene,
Winken süßgeheimnisvoll,
Und dazwischen Harlekine
Springen, lachen, lustigtoll.

Ferne grüßen Marmorgötter,
Traumhaft neben ihnen stehn
Märchenblumen, deren Blätter
In dem Mondenlichte wehn.

Wackelnd kommt herbeigeschwommen
Manches alte Zauberschloß;
Hintendrein geritten kommen
Blanke Ritter, Knappentroß.

Und das alles zieht vorüber,
Schattenhastig übereilt -
Ach! da kocht der Kessel über,
Und das nasse Kätzchen heult.

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FAQ

Wie viele Episoden hat Lyrikschule?

Lyrikschule currently has 79 episodes available.

Welche Themen behandelt Lyrikschule?

The podcast is about Podcasts, Books and Arts.

Was ist die beliebteste Episode auf Lyrikschule?

The episode title 'Folge 77 - Die Kühe sind schuld (Odile Kennel)' is the most popular.

Was ist die durchschnittliche Episodenlänge auf Lyrikschule?

The average episode length on Lyrikschule is 25 minutes.

Wie oft werden Episoden von Lyrikschule veröffentlicht?

Episodes of Lyrikschule are typically released every 7 days.

Wann war die erste Episode von Lyrikschule?

The first episode of Lyrikschule was released on Apr 6, 2021.

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