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Lyrikschule - Folge 41 - Die Brück' am Tay (Fontane)

Folge 41 - Die Brück' am Tay (Fontane)

02/04/22 • 15 min

Lyrikschule

Fontanes Balladen sind bis heute integraler Bestandteil des Deutschunterrichts. Doch wie kam es, dass sie sich über eine so lange Zeit halten konnten? Am Beispiel der Brück' am Tay wird verdeutlicht, welche Qualität diese Texte auch heute noch haben.

Theodor Fontane: Die Brück’ am Tay

When shall we three meet again?
Macbeth

»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um die siebente Stund‘,

am Brückendamm.«
»Am Mittelpfeiler.«
»Ich lösche die Flamm.«

»Ich mit.«

»Ich komme vom Norden her.«
»Und ich vom Süden.«
»Und ich vom Meer.«
»Hei, das gibt einen Ringelreihn,

Und die Brücke muß in den Grund hinein.«

»Und der Zug, der in die Brücke tritt
Um die siebente Stund’?«
»Ei, der muß mit.«
»Muß mit.«

»Tand, Tand

Ist das Gebilde von Menschenhand!«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu,

Sehen und warten, ob nicht ein Licht
Übers Wasser hin »Ich komme« spricht,
»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.«

Und der Brückner jetzt: »Ich seh’ einen Schein

Am anderen Ufer. Das muß er sein.

Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,

Unser Johnie kommt und will seinen Baum,
Und was noch am Baume von Lichtern ist,

Zünd’ alles an wie zum heiligen Christ,

Der will heuer zweimal mit uns sein, —
Und in elf Minuten ist er herein.«

Und es war der Zug. Am Süderturm
Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
Die bleiben Sieger in solchem Kampf.
Und wie’s auch rast und ringt und rennt,

Wir kriegen es unter, das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück’;
Ich lache, denk’ ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;

Wie manche liebe Christfestnacht

Hab’ ich im Fährhaus zugebracht
Und sah unsrer Fenster lichten Schein
Und zählte und konnte nicht drüben sein.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu;
Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel’,

Erglüht es in niederschießender Pracht

Überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.
»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm,«
»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«

»Ich komme.«

»Ich mit.«
»Ich nenn’ euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.«
»Und ich die Qual.«

»Hei!

Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
»Tand, Tand
Ist das Gebilde von Menschenhand.«

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Fontanes Balladen sind bis heute integraler Bestandteil des Deutschunterrichts. Doch wie kam es, dass sie sich über eine so lange Zeit halten konnten? Am Beispiel der Brück' am Tay wird verdeutlicht, welche Qualität diese Texte auch heute noch haben.

Theodor Fontane: Die Brück’ am Tay

When shall we three meet again?
Macbeth

»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um die siebente Stund‘,

am Brückendamm.«
»Am Mittelpfeiler.«
»Ich lösche die Flamm.«

»Ich mit.«

»Ich komme vom Norden her.«
»Und ich vom Süden.«
»Und ich vom Meer.«
»Hei, das gibt einen Ringelreihn,

Und die Brücke muß in den Grund hinein.«

»Und der Zug, der in die Brücke tritt
Um die siebente Stund’?«
»Ei, der muß mit.«
»Muß mit.«

»Tand, Tand

Ist das Gebilde von Menschenhand!«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu,

Sehen und warten, ob nicht ein Licht
Übers Wasser hin »Ich komme« spricht,
»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.«

Und der Brückner jetzt: »Ich seh’ einen Schein

Am anderen Ufer. Das muß er sein.

Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,

Unser Johnie kommt und will seinen Baum,
Und was noch am Baume von Lichtern ist,

Zünd’ alles an wie zum heiligen Christ,

Der will heuer zweimal mit uns sein, —
Und in elf Minuten ist er herein.«

Und es war der Zug. Am Süderturm
Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
Die bleiben Sieger in solchem Kampf.
Und wie’s auch rast und ringt und rennt,

Wir kriegen es unter, das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück’;
Ich lache, denk’ ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;

Wie manche liebe Christfestnacht

Hab’ ich im Fährhaus zugebracht
Und sah unsrer Fenster lichten Schein
Und zählte und konnte nicht drüben sein.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu;
Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel’,

Erglüht es in niederschießender Pracht

Überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.
»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm,«
»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«

»Ich komme.«

»Ich mit.«
»Ich nenn’ euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.«
»Und ich die Qual.«

»Hei!

Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
»Tand, Tand
Ist das Gebilde von Menschenhand.«

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undefined - Folge 40 - Nicht gesagt (Marie Luise Kaschnitz)

Folge 40 - Nicht gesagt (Marie Luise Kaschnitz)

In dieser Folge wird ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz leicht biografisch und zudem intertextuell gelesen. Auf der Oberfläche einfach gestrickt, offenbaren einzelne Wörter einen größeren Bedeutungskosmos.

Nicht gesagt

Nicht gesagt
Was von der Sonne zu sagen gewesen wäre
Und vom Blitz nicht das einzig Richtige
Geschweige denn von der Liebe.

Versuche. Gesuche. Mißlungen
Ungenaue Beschreibung

Weggelassen das Morgenrot
Nicht gesprochen vom Sämann
Und nur am Rande vermerkt
Den Hahnenfuß und das Veilchen.

Euch nicht den Rücken gestärkt
Mit ewiger Seligkeit
Den Verfall nicht geleugnet
Und nicht die Verzweiflung

Den Teufel nicht an die Wand
Weil ich nicht an ihn glaube
Gott nicht gelobt
Aber wer bin ich daß

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Folge 42 - Unaufhaltsam (Hilde Domin)

Mehr als alles andere verletzten uns häufig Worte. Worte können tiefer und schmerzvoller treffen als physische Attacken. Diese Erfahrung bringt Hilde Domin in ihrem Gedicht kunstvoll und doch intuitiv-verständlich auf den Punkt.

Unaufhaltsam

Das eigene Wort,
wer holt es zurück,
das lebendige,
eben noch ungesprochene
Wort?

Wo das Wort vorbeifliegt
verdorren die Gräser,
werden die Blätter gelb,
fällt Schnee.
Ein Vogel käme dir wieder.
Nicht dein Wort,
das eben noch ungesagte,
in deinen Mund.
Du schickst andere Worte
hinterdrein,
Worte mit bunten, weichen Federn.
Das Wort ist schneller,
das schwarze Wort.
Es kommt immer an,
es hört nicht auf an-
zukommen.

Besser ein Messer als ein Wort.
Ein Messer kann stumpf sein.
Ein Messer trifft oft
am Herzen vorbei
Nicht das Wort.
Am Ende ist das Wort,
immer
am Ende
das Wort.

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