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Lyrikschule - Folge 54 - Römische Brunnen (C.F. Meyer, Rainer Maria Rilke)

Folge 54 - Römische Brunnen (C.F. Meyer, Rainer Maria Rilke)

06/24/22 • 33 min

Lyrikschule

Was macht ein formvollendetes Gedicht aus? Und warum inspirieren gerade römische Brunnen zwei so hochkarätige Autoren wie C.F. Meyer und Rilke? Diesen Fragen soll heute nachgegangen werden.

Conrad Ferdinand Meyer

Der römische Brunnen
(7. Version, 1882)

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt

Er voll der Marmorschale Rund,

Die, sich verschleiernd, überfließt

In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich,

Der dritten wallend ihre Flut,

Und jede nimmt und gibt zugleich

Und strömt und ruht.

Rom: Springquell

(1. Version, 1860)

Es steigt der Quelle reicher Strahl

Und sinkt in eine schlanke Schal'.

Das dunkle Wasser überfließt

Und sich in eine Muschel gießt.

Es überströmt die Muschel dann

Und füllt ein Marmorbecken an.

Ein jedes nimmt und gibt zugleich

Und allesammen bleiben reich,

Und ob's auf allen Stufen quillt,

So bleibt die Ruhe doch im Bild

Der Brunnen

(2. Version, 1862)

In reichem Strahle steigt der Quell

Und sinkt in eine Muschel hell,

In eine breite Schale gießt

Die Muschel, was zu viel ihr ist,

Es überströmt die Schale dann

Und füllt ein Marmorbecken an,

Und alle Stufen bleiben reich,

Denn jede gibt und nimmt zugleich,

Und wenn es allenthalben quillt,

So ist es doch ein ruhig Bild.

Der Brunnen

(4. Version, 1865)

In einem römischen Garten

Verborgen ist ein Bronne,

Behütet von dem harten

Geleucht der Mittagssonne,

Er steigt in schlankem Strahle

In dunkle Laubesnacht

Und sinkt in eine Schale

Und übergießt sie sacht.

Die Wasser steigen nieder

In zweiter Schale Mitte

Und voll ist diese wieder,

Sie fluten in die dritte:

Ein Nehmen und ein Geben,

Und alle bleiben reich,

Und alle Fluten leben

Und ruhen doch zugleich

Rainer Maria Rilke

Römische Fontäne

Borghese

Zwei Becken, eins das andre übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

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Was macht ein formvollendetes Gedicht aus? Und warum inspirieren gerade römische Brunnen zwei so hochkarätige Autoren wie C.F. Meyer und Rilke? Diesen Fragen soll heute nachgegangen werden.

Conrad Ferdinand Meyer

Der römische Brunnen
(7. Version, 1882)

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt

Er voll der Marmorschale Rund,

Die, sich verschleiernd, überfließt

In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich,

Der dritten wallend ihre Flut,

Und jede nimmt und gibt zugleich

Und strömt und ruht.

Rom: Springquell

(1. Version, 1860)

Es steigt der Quelle reicher Strahl

Und sinkt in eine schlanke Schal'.

Das dunkle Wasser überfließt

Und sich in eine Muschel gießt.

Es überströmt die Muschel dann

Und füllt ein Marmorbecken an.

Ein jedes nimmt und gibt zugleich

Und allesammen bleiben reich,

Und ob's auf allen Stufen quillt,

So bleibt die Ruhe doch im Bild

Der Brunnen

(2. Version, 1862)

In reichem Strahle steigt der Quell

Und sinkt in eine Muschel hell,

In eine breite Schale gießt

Die Muschel, was zu viel ihr ist,

Es überströmt die Schale dann

Und füllt ein Marmorbecken an,

Und alle Stufen bleiben reich,

Denn jede gibt und nimmt zugleich,

Und wenn es allenthalben quillt,

So ist es doch ein ruhig Bild.

Der Brunnen

(4. Version, 1865)

In einem römischen Garten

Verborgen ist ein Bronne,

Behütet von dem harten

Geleucht der Mittagssonne,

Er steigt in schlankem Strahle

In dunkle Laubesnacht

Und sinkt in eine Schale

Und übergießt sie sacht.

Die Wasser steigen nieder

In zweiter Schale Mitte

Und voll ist diese wieder,

Sie fluten in die dritte:

Ein Nehmen und ein Geben,

Und alle bleiben reich,

Und alle Fluten leben

Und ruhen doch zugleich

Rainer Maria Rilke

Römische Fontäne

Borghese

Zwei Becken, eins das andre übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

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undefined - Folge 53 - Ironisierung der Romantik (Heinrich Heine)

Folge 53 - Ironisierung der Romantik (Heinrich Heine)

Der Umbruch von einer Epoche zur nächsten ist selten so gut zu beobachten wie in Heines ironisch-romantischen Gedichten. Die Literatur der 'Kunstperiode' wird damit begraben. Ihr folgt eine kurze aber intensive Zeit politischer Lyrik, zu deren Vordenkern Heine gehört.

Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Die schlesischen Weber

Im düstern Auge keine Thräne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöthen;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt,
Und uns wie Hunde erschießen läßt –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulniß und Moder den Wurm erquickt –
Wir weben, wir weben!
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!

Altes Kaminstück

Draußen ziehen weiße Flocken
Durch die Nacht, der Sturm ist laut;
Hier im Stübchen ist es trocken,
Warm und einsam, stillvertraut.

Sinnend sitz ich auf dem Sessel,
An dem knisternden Kamin,
Kochend summt der Wasserkessel
Längst verklungne Melodien.

Und ein Kätzchen sitzt daneben,
Wärmt die Pfötchen an der Glut;
Und die Flammen schweben, weben,
Wundersam wird mir zu Mut.

Dämmernd kommt heraufgestiegen
Manche längst vergeßne Zeit,
Wie mit bunten Maskenzügen
Und verblichner Herrlichkeit.

Schöne Fraun, mit kluger Miene,
Winken süßgeheimnisvoll,
Und dazwischen Harlekine
Springen, lachen, lustigtoll.

Ferne grüßen Marmorgötter,
Traumhaft neben ihnen stehn
Märchenblumen, deren Blätter
In dem Mondenlichte wehn.

Wackelnd kommt herbeigeschwommen
Manches alte Zauberschloß;
Hintendrein geritten kommen
Blanke Ritter, Knappentroß.

Und das alles zieht vorüber,
Schattenhastig übereilt -
Ach! da kocht der Kessel über,
Und das nasse Kätzchen heult.

Nächste Episode

undefined - Folge 55 - Wie wenig nütze ich bin (Hilde Domin)

Folge 55 - Wie wenig nütze ich bin (Hilde Domin)

Manchmal überkommt uns das Gefühl, dass wir und unser Handeln folgenlos, unwichtig und irrelevant sind. Schon im Sisyphus-Mythos kommt diese Idee zum Tragen. Hilde Domin, die Dichterin des Dennoch, widmet sich im heutigen Text genau dieser Erfahrung und setzt ihr eine kleine trotzige Hoffnung entgegen.

Wie wenig nütze ich bin

Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.
Die Zeit verwischt mein Gesicht,
sie hat schon begonnen.
Hinter meinen Schritten im Staub
wäscht der Regen die Straße blank
wie eine Hausfrau.
Ich war hier.
Ich gehe vorüber
ohne Spur.
Die Ulmen am Weg
winken mir zu wie ich komme,
grün blau goldener Gruß,
und vergessen mich,
eh ich vorbei bin.
Ich gehe vorüber -
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume im Abend
auf einem Stückchen Papier.
Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.

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