
Tacheles reden
12/17/23 • 8 min
Dem deutschen Kulturbetrieb ist angesichts des Terrors der Hamas am 7. Oktober in Israel ein unheimliches Schweigen vorgeworfen worden – man vermisse Menschlichkeit und Empathie. Unter dem Motto „Gegen das Schweigen, gegen Antisemitismus“ hat am 27. November ein sicher gut gemeintes Solidaritätskonzert im Berliner Ensemble unter viel medialem Beifall demonstriert, was man tun muss, um sich über derart moralische Fragwürdigkeit zu erheben. Man sollte aber die übrige Kulturszene nicht unwidersprochen im Zwielicht des Tadels stehen lassen. Denn das vermeintliche Schweigen ist sicher kein Schweigen aus Gleichgültigkeit oder gar emotionaler Distanz. Es ist eine große Traurigkeit ausgebrochen, in der sich das schnelle Bescheidwissen nicht empfiehlt. Es ist ein Schweigen aus Ratlosigkeit und wohl auch aus Rücksichtnahme. Denn wer jetzt sein Schweigen bricht, muss Tacheles reden. Diesen Mut hat man auf der Bühne des Berliner Ensembles weitgehend vermisst. Von Daniela Dahn.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Was derzeit im Nahen Osten und darüber hinaus eskaliert, ist nicht das Ergebnis von Antisemitismus, sondern von Anti-Politik. Seit über 70 Jahren sind Araber und Juden nicht bereit, sich dieses geschichtsträchtige Palästina friedlich miteinander zu teilen. Und die internationale Gemeinschaft, die die Gründung des Staates Israel nicht eben sensibel eingeleitet hat, ist unfähig, eine dauerhafte, tragfähige Lösung anzubieten. Künstler und Intellektuelle haben in all den Jahren empathisch versucht, mit ihrem Vermögen Fremdheit und Hass entgegenzutreten und stattdessen Brücken des gegenseitigen Verständnisses zu bauen – auch sie stehen vor einem Trümmerhaufen. Aber man kann sie für das Scheitern nicht verantwortlich machen.
Die Berichte der Überlebenden des Pogroms der Hamas im Kibbuz Kfar Aza und Umgebung sind entsetzlich, jeder Mensch mit Herz möchte tröstend an ihrer Seite stehen. Dennoch greift die Forderung nach bedingungsloser Solidarität mit Israel zu kurz. Wer oder was ist Israel? Die Gesellschaft ist tief gespalten – Spalt beschönigt noch, es besteht eine tiefe Kluft zwischen den Anhängern der ultrarechten Regierung Netanjahu und den meist säkularen Israelis, die seit Monaten millionenfach auf der Straße demokratische Strukturen verteidigen wollten. Israelische Künstler und Intellektuelle haben Kanzler Scholz im März dieses Jahres gebeten, den Berlin-Besuch von Benjamin Netanjahu abzusagen, weil die Einladung des Chefs der rechtesten Regierung, die Israel in seiner Geschichte je hatte, der Demokratiebewegung im Lande schade. Doch Staatsraison ging vor Demokratieverlust.
Angesichts des Kriegsrechts sind die Protest-Demonstranten nun auch still geworden. Was unterscheidet das Schweigen dieser uns Verbündeten von unserem eigenen Schweigen? Wie soll man sich erklären, dass ausgerechnet im von Shoa-Überlebenden gegründeten Staat mehrheitlich rechtsextrem gewählt wurde? Dass gar Finanzminister Bezalel Smotrich, der sich selbst als „faschistischen Homophoben“ rühmt, vom korruptionsverdächtigen Netanjahu die Kontrolle über große Teile der besetzten Gebiete übertragen bekommen hat – und dort gegenüber den Palästinensern ein anderes Rechtssystem durchsetzt, als es für die benachbarten israelischen Siedler gilt. Dies hat Amnesty International oder Human Rights Watch wie auch jüdische Intellektuelle in Israel, Europa und den USA veranlasst, die Besatzung als Apartheid zu verurteilen.
Wie soll man die Provokation verkraften, wenn der auch für die besetzten Gebiete zuständige Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, einst verurteilt wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen, als „religiöser Faschist“ gilt – so bezeichnet von dem Politologen der Ben-Gurion-Universität Dani Filc, der eine Erosion des moralischen Gefüges in der israelischen Gesellschaft sieht.
„Die jahrzehntelange Besatzung der Palästinenser-Gebiete braucht Rassismus, um sich zu legitimieren. Das bringt gewisse Tabus zu Bruch.“
Wer jetzt beschließt, nicht zu schweigen, muss diese Tabus benennen. Daran mangelte es der mit großem Medienlob begleiteten Veranstaltung von Vertretern der Kulturszene im Berliner Ensemble. Dort wurden, soweit der Berichterstattung zu entnehmen war, das Antisemitismus-Narrativ als Erklärung für die Ursache von Hass und Gewalt benutzt und der Kampf dagegen als wichtigste Voraussetzung zur Beilegung des Konfliktes beschworen. Doch der gänzlich unbrauchbare, inkohärente Begriff des Antisemitismus verwirrt mehr, als er erklärt. Er hebt die Debatte aus den realen Interessenlagen politischer Verfehlungen auf eine schwer zu fassende irrationale Ebene. Ich habe mich dazu unlängst ausführlich geäußert.
Natürlich ist nicht das Geringste dagegen zu sagen, sich gemeinsam wunderbare Musik wie auch gekonnt vorgetragene, weise Texte der klassischen W...
Dem deutschen Kulturbetrieb ist angesichts des Terrors der Hamas am 7. Oktober in Israel ein unheimliches Schweigen vorgeworfen worden – man vermisse Menschlichkeit und Empathie. Unter dem Motto „Gegen das Schweigen, gegen Antisemitismus“ hat am 27. November ein sicher gut gemeintes Solidaritätskonzert im Berliner Ensemble unter viel medialem Beifall demonstriert, was man tun muss, um sich über derart moralische Fragwürdigkeit zu erheben. Man sollte aber die übrige Kulturszene nicht unwidersprochen im Zwielicht des Tadels stehen lassen. Denn das vermeintliche Schweigen ist sicher kein Schweigen aus Gleichgültigkeit oder gar emotionaler Distanz. Es ist eine große Traurigkeit ausgebrochen, in der sich das schnelle Bescheidwissen nicht empfiehlt. Es ist ein Schweigen aus Ratlosigkeit und wohl auch aus Rücksichtnahme. Denn wer jetzt sein Schweigen bricht, muss Tacheles reden. Diesen Mut hat man auf der Bühne des Berliner Ensembles weitgehend vermisst. Von Daniela Dahn.
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Was derzeit im Nahen Osten und darüber hinaus eskaliert, ist nicht das Ergebnis von Antisemitismus, sondern von Anti-Politik. Seit über 70 Jahren sind Araber und Juden nicht bereit, sich dieses geschichtsträchtige Palästina friedlich miteinander zu teilen. Und die internationale Gemeinschaft, die die Gründung des Staates Israel nicht eben sensibel eingeleitet hat, ist unfähig, eine dauerhafte, tragfähige Lösung anzubieten. Künstler und Intellektuelle haben in all den Jahren empathisch versucht, mit ihrem Vermögen Fremdheit und Hass entgegenzutreten und stattdessen Brücken des gegenseitigen Verständnisses zu bauen – auch sie stehen vor einem Trümmerhaufen. Aber man kann sie für das Scheitern nicht verantwortlich machen.
Die Berichte der Überlebenden des Pogroms der Hamas im Kibbuz Kfar Aza und Umgebung sind entsetzlich, jeder Mensch mit Herz möchte tröstend an ihrer Seite stehen. Dennoch greift die Forderung nach bedingungsloser Solidarität mit Israel zu kurz. Wer oder was ist Israel? Die Gesellschaft ist tief gespalten – Spalt beschönigt noch, es besteht eine tiefe Kluft zwischen den Anhängern der ultrarechten Regierung Netanjahu und den meist säkularen Israelis, die seit Monaten millionenfach auf der Straße demokratische Strukturen verteidigen wollten. Israelische Künstler und Intellektuelle haben Kanzler Scholz im März dieses Jahres gebeten, den Berlin-Besuch von Benjamin Netanjahu abzusagen, weil die Einladung des Chefs der rechtesten Regierung, die Israel in seiner Geschichte je hatte, der Demokratiebewegung im Lande schade. Doch Staatsraison ging vor Demokratieverlust.
Angesichts des Kriegsrechts sind die Protest-Demonstranten nun auch still geworden. Was unterscheidet das Schweigen dieser uns Verbündeten von unserem eigenen Schweigen? Wie soll man sich erklären, dass ausgerechnet im von Shoa-Überlebenden gegründeten Staat mehrheitlich rechtsextrem gewählt wurde? Dass gar Finanzminister Bezalel Smotrich, der sich selbst als „faschistischen Homophoben“ rühmt, vom korruptionsverdächtigen Netanjahu die Kontrolle über große Teile der besetzten Gebiete übertragen bekommen hat – und dort gegenüber den Palästinensern ein anderes Rechtssystem durchsetzt, als es für die benachbarten israelischen Siedler gilt. Dies hat Amnesty International oder Human Rights Watch wie auch jüdische Intellektuelle in Israel, Europa und den USA veranlasst, die Besatzung als Apartheid zu verurteilen.
Wie soll man die Provokation verkraften, wenn der auch für die besetzten Gebiete zuständige Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, einst verurteilt wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen, als „religiöser Faschist“ gilt – so bezeichnet von dem Politologen der Ben-Gurion-Universität Dani Filc, der eine Erosion des moralischen Gefüges in der israelischen Gesellschaft sieht.
„Die jahrzehntelange Besatzung der Palästinenser-Gebiete braucht Rassismus, um sich zu legitimieren. Das bringt gewisse Tabus zu Bruch.“
Wer jetzt beschließt, nicht zu schweigen, muss diese Tabus benennen. Daran mangelte es der mit großem Medienlob begleiteten Veranstaltung von Vertretern der Kulturszene im Berliner Ensemble. Dort wurden, soweit der Berichterstattung zu entnehmen war, das Antisemitismus-Narrativ als Erklärung für die Ursache von Hass und Gewalt benutzt und der Kampf dagegen als wichtigste Voraussetzung zur Beilegung des Konfliktes beschworen. Doch der gänzlich unbrauchbare, inkohärente Begriff des Antisemitismus verwirrt mehr, als er erklärt. Er hebt die Debatte aus den realen Interessenlagen politischer Verfehlungen auf eine schwer zu fassende irrationale Ebene. Ich habe mich dazu unlängst ausführlich geäußert.
Natürlich ist nicht das Geringste dagegen zu sagen, sich gemeinsam wunderbare Musik wie auch gekonnt vorgetragene, weise Texte der klassischen W...
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Stimmen aus Ungarn: Baldiger Ukraine-Beitritt schwächt EU
Die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) wollen mit der Ukraine Verhandlungen über einen EU-Beitritt aufnehmen. Diese Entscheidung wird in vielerlei Hinsicht die Zukunft Europas beeinflussen. Doch aus Expertensicht ist die EU zu einer Erweiterung nicht bereit und die Ukraine nicht fähig, die Aufnahmekriterien zu erfüllen. Was könnte die EU stattdessen jetzt tun? Von Éva Péli.
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„Die Europäische Union würde gegen ihre eigenen Prinzipien und die Gesetze verstoßen, die sie bisher festgelegt hat, wenn sie auf die Kopenhagener Kriterien für die Eröffnung von Beitrittsverträgen verzichten würde.” Das schreibt der ehemalige ungarische Europa-Parlamentarier Hegyi Gyula (MSZP – Ungarische Sozialistische Partei) in einem Beitrag für das ungarische Nachrichtenportal index.hu.
Am 14. und 15. Dezember will der Europäische Rat entscheiden, ob mit der Ukraine Verhandlungen über einen EU-Beitritt aufgenommen werden sollen. Aber die EU ist aus Sicht von Hegyi nicht bereit für die Erweiterung. Wenn sie sich nicht schwächen will, darf sich die EU Berichten zufolge nicht ohne Reform vergrößern. Das sehen mehrere EU-Länder so, doch spricht das nur der als „Spielverderber” bekannte ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán laut aus.
Der Politologe und Publizist Hegyi macht darauf aufmerksam, dass nach den sogenannten Kopenhagener Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft das Vorhandensein einer stabilen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dem Land eine Voraussetzung für den Beginn der Verhandlungen ist. Dazu gehören auch „die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und der Schutz von Minderheitenrechten”.
Diese müssen jedoch vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gewährleistet sein, betont Hegyi.
„Und jeder, der die Realität objektiv und unvoreingenommen betrachtet, muss zugeben, dass die Ukraine heute keine stabile Demokratie ist, dass ihre Institutionen entweder nicht vorhanden oder schwach sind und dass sie die Rechte von Minderheiten nicht garantiert.“
Das Land hat Oppositionsparteien und eine der größten Kirchen verboten, das Militär zensiert. Die Regierung plant, fällige Wahlen zu annullieren, und schränkt den Gebrauch von Sprachen der Minderheiten stark ein. Die Ukraine befindet sich im Krieg und führt einen blutigen und zerstörerischen Kampf um die Verteidigung ihres Territoriums, so Hegyi.
So lange der Krieg andauert und die Größe des von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiets sowie die Zahl der Bevölkerung unbekannt bleiben, schreibt der Ex-EU-Parlamentarier, seien sinnvolle Beitrittsverhandlungen schwer vorstellbar.
„Ein erzwungener Waffenstillstand birgt die Gefahr, dass der Krieg jederzeit wieder aufflammt und die EU noch stärker in den Krieg verwickelt wird als jetzt .”
Aus Sicht des Politikers war der gesamte Prozess der EU-Osterweiterung teilweise durch geopolitische Interessen des Westens motiviert. Die Existenz eines demokratischen Staates sei jedoch überall eine Voraussetzung gewesen. Kroatien konnte erst 2005, zehn Jahre nach dem Ende des Krieges gegen Serbien, mit einer stabilen Demokratie und stabilen Grenzen Beitrittsverhandlungen aufnehmen. Zypern musste sogar 30 Jahre nach der türkischen Invasion warten, bevor die südliche Hälfte des Landes der EU beitreten konnte.
Eine ernsthafte und großzügige Unterstützung des Wiederaufbaus des Landes nach dem Ende des Krieges sei begründet. Aber die Ukraine sei heute keine stabile Demokratie und auch kein stabiler Staat, betont er.
Die politischen Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine werden laut Hegyi erfüllt sein, wenn sie eine dauerhafte Einigung mit Russland erzielt, vorzugsweise mit internationalen Garantien. Er ist der Ansicht, dass die EU jetzt der Ukraine helfen soll, einen dauerhaften Frieden zu erreichen. Aus Sicht des Politikers hat Russland kein Interesse an einem schnellen Frieden mit der Ukraine und betont seinen Friedenswillen vor allem, um die russische Öffentlichkeit und den Globalen Süden für sich zu gewinnen.
Die kriegerischen Erklärungen der EU, die zunehmend ohne echte militärische Unterstützung auskommen, dienen Moskau ungewollt diesem Zweck, kritisiert der Politiker. Eine Friedensinitiative, hinter der das politische und wirtschaftliche Gewicht von 27 Mitgliedstaaten steht, könnte Moskau aus seiner Sicht jedoch nur schwer ablehnen. Er weist auf die führenden Politiker der EU hin, die behaupten, dass der Frieden nur von der ukrainischen Führung initiiert werden könne.
„Doch als die Ukrainer im vergangenen Frühjahr kurz vor einer Einigung mit Russland standen, überredete der Westen sie, den Frieden abzulehnen und den Krieg fortzusetzen.”
Hegyi findet es heuchlerisch, jetzt zu behaupten, ...
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„Ich teile Ihre Meinung nicht, aber…“
Ist Deutschland auf dem Weg zurück zum unseligen Geist der Bücherverbrennung? Wer die enthemmten Debatten in der Bundesrepublik verfolgt, kann zu diesem Schluss kommen. Wir sollten der Geschäftsordnung des Bundestags Voltaires berühmtes Zitat voranstellen. Von Oskar Lafontaine.
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Dass Demokratie und Freiheit in Deutschland immer gefährdet sind, zeigte die Corona-Zeit. Obwohl die Propaganda der Impfstoffhersteller – die Impfung schütze vor Ansteckung, ein Geimpfter könne andere nicht anstecken und die Impfung sei weitgehend frei von gefährlichen Nebenwirkungen – nach wenigen Monaten widerlegt war, wurden Ungeimpfte beschimpft und ausgegrenzt. Auf dem Höhepunkt der Corona-Hysterie war das Debattenklima so aufgeheizt, dass ein Antrag, alle Ungeimpften auf eine einsame Insel zu verbannen, im Deutschen Bundestag durchaus eine Mehrheit hätte finden können. Politiker, Journalisten und ein Teil der Bevölkerung schienen regelrecht versessen darauf zu sein, diejenigen auszugrenzen, die ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung wahrgenommen und sich gegen die Impfung entschieden hatten. In Familien gab es Streit, Freundschaften gingen zu Bruch, und Kinder von Geimpften durften nicht mit Kindern von Ungeimpften spielen.
Andersdenkende herabsetzen
Als 50 Schauspieler und Regisseure Ende April 2021 mit ironischen Videos die völlig überzogenen Corona-Maßnahmen der Regierung und die Medienberichterstattung kritisierten, ergoss sich ein Shitstorm über sie und ihnen wurde vorgeworfen, die Corona-Toten zu verhöhnen. Der SPD-Politiker Garrelt Duin, Mitglied im WDR-Rundfunkrat, forderte, die Zusammenarbeit mit diesen Künstlern schnellstmöglich zu beenden – aus angeblicher Solidarität mit denen, die „wirklich unter Corona und den Folgen zu leiden“ hätten. Der Mitinitiator der Aktion, Dietrich Brüggemann, berichtete, einige der Schauspieler seien so unter Druck gesetzt und bedroht worden, dass sie ihre Beiträge zurückgezogen hätten. Erfreulicherweise stellten sich Virologen wie Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck vor die Künstler, und auch einige prominente Politiker nahmen sie in Schutz.
Aber der Geist der Gehässigkeit, der Wunsch, andere an den Pranger zu stellen und zu bestrafen, war aus der Flasche. Der Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome schrieb: „Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“ Sein Wunsch wurde erfüllt. Auf die Ungeimpften wurde mit dem Finger gezeigt, und die gesellschaftlichen Nachteile bedeuteten mit „2 G“ den Ausschluss aus dem öffentlichen Leben und gingen teilweise bis zur Vernichtung der beruflichen Existenz.
Die Lust, Andersdenkende zu denunzieren und herabzusetzen, überlebte die Corona-Zeit und schlug nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine zu. Jetzt waren es nicht die Ungeimpften, sondern diejenigen, die für Waffenstillstand und Verhandlungen mit Russland plädierten, die „Putin-Versteher“. Plötzlich gerieten Veranstalter unter Druck, die die langjährige ARD-Korrespondentin in Moskau und exzellente Russlandkennerin Gabriele Krone-Schmalz weiterhin einluden. Anfang Dezember dieses Jahres meldete die Bild-Zeitung: „Justus Frantz beim Schleswig-Holstein Musik Festival rausgeworfen“. Eine Vielzahl von Gründen habe eine Einladung von Justus Frantz unmöglich gemacht, sagte der Intendant des Festivals, Christian Kuhnt, „sein Engagement in Russland ist einer davon“.
Das besonders Bemerkenswerte an dem Vorgang: Der Ausgeladene hatte das Schleswig-Holstein Musik Festival gegründet und es zu einem Festival von Weltbedeutung gemacht. Da er an die völkerverbindende Kraft der Musik glaubt, hat er 1989 die Deutsch-Sowjetische Junge Philharmonie mitgegründet und 1995 die Philharmonie der Nationen unter dem Motto „Make music as friends“ ins Leben gerufen, ein Orchester, in dem Syrer und Israeli, Serben und Slowenen für den Weltfrieden musizierten, wie der Spiegel in einem gehässigen Artikel über den Rauswurf des Maestros berichtete. Und um den „Putin-Versteher“ zu entlarven, stellten die Inquisitoren des Nachrichtenmagazins ihm zwei Fragen: „Weil die Russen nun mal einen Angriffskrieg führen, Herr Frantz, halten Sie die russische Regierung für verbrecherisch? Was, wenn Sie ein Solidaritätskonzert für die Anwaltskosten von Alexei Nawalny machen würden?“ Sie könnten ja auch die vielen Künstler, die in den USA auftreten, fragen: „Weil die USA nun mal viele Angriffskriege führen, halten Sie die US-Regierung für verbrecherisch? Was, wenn Sie ein Solidaritätskonzert für die Anwaltskosten von Julian Assange, unserem Kollegen, der Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hat, machen würden?“ Aber auf solche Fragen kommen Spiegel-Reporter heute nicht mehr, hat sich doch das Magazin ganz in den Dienst der US-Kr...
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