
Nach der Wahl in Frankreich fehlt dem Präsidenten die Mehrheit im Parlament
06/21/22 • 8 min
Nun sind sie vorbei, die Parlamentswahlen in Frankreich. In der ersten Runde der Parlamentswahlen erzielte das neugegründete linke Bündnis NUPES mehr als einen Achtungserfolg. In der zweiten Runde kam das Bündnis von Präsident Macron nicht auf die erhoffte absolute Mehrheit. Aber auch das Bündnis NUPES schaffte es trotz großer Stimmengewinne „nur“, eine Oppositionsrolle zu übernehmen. Wie geht es weiter? Frank Blenz für die NachDenkSeiten fragte bei dem Frankreich-Experten und Politologen Sebastian Chwala nach.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Wie schätzen Sie die Wahlen zum Parlament in Frankreich innenpolitisch für den unterlegenen Macron ein, obwohl seine „Marschierer“ doch gewonnen haben?
Der Ausgang der französischen Parlamentswahlen kommt einem richtigen Erdbeben gleich. Noch nie in der Geschichte der 5. Republik stand ein Staatspräsident derart geschwächt da. Sein politisches Lager besitzt keine Mehrheit. 289 Sitze braucht Macrons Bündnis für die absolute Mehrheit im Parlament, um „durchregieren“ zu können. Mit 246 Sitzen liegt der “Macronismus” weit von jener Marke entfernt, die für diese Parlamentsmehrheit notwendig ist.
Mit dem Verlust von 105 Mandaten sind die Zeiten Geschichte, in denen Macron ohne Widerstand sämtliche Gesetzesvorhaben im Eilverfahren durch seinen Premierminister durch das Parlament peitschen konnte. Es ist nun so, dass seine “Playmobils”, so heißt der bösartige Name der LREM-Abgeordneten wegen ihrer eigenen politischen Passivität, nicht mehr zahlreich genug sind.
Aktuell ist unklar, wie es mit dem „Macronismus” in Frankreich weitergehen wird. Es geht um Mehrheiten, es geht um Macrons Politik, die er als starker neoliberaler Präsident durchsetzen will. Einerseits könnte Macron im Parlament versuchen, von Fall zu Fall Mehrheiten für seine Gesetzesvorhaben zu erreichen. Hier läge eine Zusammenarbeit mit den rechtsbürgerlichen “Republikanern” (LR) auf der Hand, mit denen gemeinsam eine knappe Mehrheit zustande zu bringen wäre (307 Mandate). Diese haben allerdings schon angekündigt, in der Opposition verbleiben zu wollen.
Auf die Avancen des rechten RN, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, wird der „Macronismus“, so meine Einschätzung, nicht eingehen. Es gibt noch eine weitere Möglichkeit: Die bestünde in der Auflösung der Nationalversammlung und der Ansetzung von Neuwahlen. Unter Verfassungsjuristen herrscht aber Einigkeit darüber, dass diese Option erst im nächsten Jahr auf die Tagesordnung kommen könnte. Frankreich befindet sich damit nun erst einmal in einer veritablen institutionellen Krise, da kein Lager von sich aus genügend Abgeordnete hinter sich versammeln kann.
Wie sehen Sie das Abschneiden des Bündnisses NUPES und weiterer linker Kräfte?
Die Linke, die mit NUPES phasenweise dem Anspruch stellte, die Wahlen vielleicht sogar zu ihren Gunsten zu entscheiden, muss sich vorerst mit einer Oppositionsrolle begnügen. Zwar konnte man mit mindestens 149 gewonnenen Mandaten (noch ist unklar, ob sich “freie Linke” einer der NUPES-Fraktionen anschließen) die Anzahl mehr als verdoppeln, doch die 200-Sitze-Marke blieb weit entfernt.
Es gelang, die urbanen Sitze, von denen viele im Jahr 2017 an die “Marschierer” gefallen sind, zurückzuerobern. Das einst kommunistisch dominierte Seine-Saint-Denis-Département kam jetzt als ein Beispiel nach langer Zeit wieder vollständig in die Hand der Linken. Doch ein Einbruch in die Peripherie gelang nicht wirklich. Dies dürfte nicht nur an der niedrigen Wahlbeteiligung gelegen haben, sondern auch an der dort für die Linke ungünstigen demographischen Situation.
Jean-Luc Mélenchon wird in nächster Zeit nicht Premierminister. Die Frage wird sich stellen, ob NUPES in den nächsten Tagen und Wochen seine Bindungen vertieft oder ob es dazu kommt, dass es in die einzelnen Fraktionen der Parteien zerfällt. Es wird an Mélenchon liegen, ob er eine zentrale Rolle weiter einnehmen wird.
Wie sehen Sie das Abschneiden der rechten Kräfte?
Ja, der RN ist zur stärksten Oppositionsfraktion angewachsen. Mit 89 Abgeordneten verfügt er über mehr Mandate als LFI. Diese Fraktion dürfte 76 oder 77 Mitglieder umfassen. Der Erfolg des RN ist deshalb so groß ausgefallen, weil die macronitischen Wähler, aber auch die des LR die Unterstützung linker Kandidaten verweigerten. Lediglich ein Bruchteil der Wähler stimmte in den zwischen NUPES und RN umkämpften Wahlkreisen für li...
Nun sind sie vorbei, die Parlamentswahlen in Frankreich. In der ersten Runde der Parlamentswahlen erzielte das neugegründete linke Bündnis NUPES mehr als einen Achtungserfolg. In der zweiten Runde kam das Bündnis von Präsident Macron nicht auf die erhoffte absolute Mehrheit. Aber auch das Bündnis NUPES schaffte es trotz großer Stimmengewinne „nur“, eine Oppositionsrolle zu übernehmen. Wie geht es weiter? Frank Blenz für die NachDenkSeiten fragte bei dem Frankreich-Experten und Politologen Sebastian Chwala nach.
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Wie schätzen Sie die Wahlen zum Parlament in Frankreich innenpolitisch für den unterlegenen Macron ein, obwohl seine „Marschierer“ doch gewonnen haben?
Der Ausgang der französischen Parlamentswahlen kommt einem richtigen Erdbeben gleich. Noch nie in der Geschichte der 5. Republik stand ein Staatspräsident derart geschwächt da. Sein politisches Lager besitzt keine Mehrheit. 289 Sitze braucht Macrons Bündnis für die absolute Mehrheit im Parlament, um „durchregieren“ zu können. Mit 246 Sitzen liegt der “Macronismus” weit von jener Marke entfernt, die für diese Parlamentsmehrheit notwendig ist.
Mit dem Verlust von 105 Mandaten sind die Zeiten Geschichte, in denen Macron ohne Widerstand sämtliche Gesetzesvorhaben im Eilverfahren durch seinen Premierminister durch das Parlament peitschen konnte. Es ist nun so, dass seine “Playmobils”, so heißt der bösartige Name der LREM-Abgeordneten wegen ihrer eigenen politischen Passivität, nicht mehr zahlreich genug sind.
Aktuell ist unklar, wie es mit dem „Macronismus” in Frankreich weitergehen wird. Es geht um Mehrheiten, es geht um Macrons Politik, die er als starker neoliberaler Präsident durchsetzen will. Einerseits könnte Macron im Parlament versuchen, von Fall zu Fall Mehrheiten für seine Gesetzesvorhaben zu erreichen. Hier läge eine Zusammenarbeit mit den rechtsbürgerlichen “Republikanern” (LR) auf der Hand, mit denen gemeinsam eine knappe Mehrheit zustande zu bringen wäre (307 Mandate). Diese haben allerdings schon angekündigt, in der Opposition verbleiben zu wollen.
Auf die Avancen des rechten RN, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, wird der „Macronismus“, so meine Einschätzung, nicht eingehen. Es gibt noch eine weitere Möglichkeit: Die bestünde in der Auflösung der Nationalversammlung und der Ansetzung von Neuwahlen. Unter Verfassungsjuristen herrscht aber Einigkeit darüber, dass diese Option erst im nächsten Jahr auf die Tagesordnung kommen könnte. Frankreich befindet sich damit nun erst einmal in einer veritablen institutionellen Krise, da kein Lager von sich aus genügend Abgeordnete hinter sich versammeln kann.
Wie sehen Sie das Abschneiden des Bündnisses NUPES und weiterer linker Kräfte?
Die Linke, die mit NUPES phasenweise dem Anspruch stellte, die Wahlen vielleicht sogar zu ihren Gunsten zu entscheiden, muss sich vorerst mit einer Oppositionsrolle begnügen. Zwar konnte man mit mindestens 149 gewonnenen Mandaten (noch ist unklar, ob sich “freie Linke” einer der NUPES-Fraktionen anschließen) die Anzahl mehr als verdoppeln, doch die 200-Sitze-Marke blieb weit entfernt.
Es gelang, die urbanen Sitze, von denen viele im Jahr 2017 an die “Marschierer” gefallen sind, zurückzuerobern. Das einst kommunistisch dominierte Seine-Saint-Denis-Département kam jetzt als ein Beispiel nach langer Zeit wieder vollständig in die Hand der Linken. Doch ein Einbruch in die Peripherie gelang nicht wirklich. Dies dürfte nicht nur an der niedrigen Wahlbeteiligung gelegen haben, sondern auch an der dort für die Linke ungünstigen demographischen Situation.
Jean-Luc Mélenchon wird in nächster Zeit nicht Premierminister. Die Frage wird sich stellen, ob NUPES in den nächsten Tagen und Wochen seine Bindungen vertieft oder ob es dazu kommt, dass es in die einzelnen Fraktionen der Parteien zerfällt. Es wird an Mélenchon liegen, ob er eine zentrale Rolle weiter einnehmen wird.
Wie sehen Sie das Abschneiden der rechten Kräfte?
Ja, der RN ist zur stärksten Oppositionsfraktion angewachsen. Mit 89 Abgeordneten verfügt er über mehr Mandate als LFI. Diese Fraktion dürfte 76 oder 77 Mitglieder umfassen. Der Erfolg des RN ist deshalb so groß ausgefallen, weil die macronitischen Wähler, aber auch die des LR die Unterstützung linker Kandidaten verweigerten. Lediglich ein Bruchteil der Wähler stimmte in den zwischen NUPES und RN umkämpften Wahlkreisen für li...
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„Ökonomischer Selbstmord“? Aber warum halten dann die Industrie-Lobbys still?
Zahlreiche Beobachter warnen, dass die Bundesregierung mit den aktuellen Wirtschaftssanktionen einen „wirtschaftlichen Selbstmord“ begünstigen könnte. Aber von einer Gegenwehr durch Vertreter mächtiger Industrie-Verbände ist nur wenig zu spüren. Dass die Lobby-Verbände der Privatwirtschaft wirkungsvolle Kampagnen lostreten können, wenn sie ihre Interessen durch soziale Forderungen bedroht sehen, mussten die Bürger oft erfahren – momentan verzichten diese Machtgruppen aber anscheinend auf Einflussnahme. Was könnten die Gründe für diese Zurückhaltung sein? Vielleicht haben unsere Leser Erklärungsansätze. Von Tobias Riegel.
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Dass die Wirtschafts- und Energiepolitik der Bundesregierung fatale Folgen für die industrielle Basis Deutschlands und damit indirekt und langfristig für die Bürger haben könnte, haben in den letzten Wochen zahlreiche Beobachter beschrieben. Jens Berger hat die Thematik etwa hier aufgegriffen, Florian Warweg hat hier potenzielle Folgen für die Region Berlin beschrieben und gerade hat Michael Lüders im „Freitag“ gewarnt:
„Der völlige Verzicht auf Erdgas und Öl aus Russland grenzt an wirtschaftlichen Selbstmord.“
Aktuell wird von offizieller und medialer Seite oft behauptet, dass die gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Erschütterungen in Deutschland direkte „Folgen von Putins Angriffskrieg“ seien. Das trifft so nicht zu. Die Erschütterungen sind vor allem Folge von eigenem, zielgerichtetem Handeln. Wie die SPD versucht, Russland die Schuld an der Inflation zu geben, hat Albrecht Müller gerade hier beschrieben. In welch zynischer Weise Wirtschaftsminister Habeck (GRÜNE) die Folgen der eigenen Politik auf die Bürger abwälzen möchte, hat Jens Berger hier aufgegriffen. Zu den selbst provozierten Gefahren durch die Sanktionen kommen noch die von der Regierung gesteigerten Rüstungsausgaben als schwere gesellschaftliche Hypothek hinzu.
Sanktionen gegen die Bürger
Die riskante Sanktionspolitik der Bundesregierung hat dabei keinen positiven Einfluss auf das Kriegsgeschehen – und auch nicht auf moralische Fragen, nicht auf den Umweltschutz und anscheinend auch nicht in gewünschtem Maße auf die russische Wirtschaft. Vor allem aber bei uns, in unseren Arbeitsmärkten und sozialen Gefügen werden die selbst gemachten Sanktionen und die selbst gemachte Wirtschafts- und Außenpolitik möglicherweise eine sehr zerstörerische Wirkung entfalten.
Hier müssten die Bürger, die Gewerkschaften und weitere gesellschaftliche Gruppen endlich Widerstand formulieren. Doch der bleibt bisher weitgehend aus, auf weite Teile der Medienlandschaft ist momentan nicht zu hoffen.
Und wo sind momentan die Interessenvertretungen der Großindustrie? Auf Kampagnen von Konzernen als „Rettung“ zu setzen, wäre selbstverständlich grotesk. Solche Einmischungen von privatwirtschaftlicher Seite, die ausschließlich durch die finanziellen Möglichkeiten der Verantwortlichen gerechtfertigt sind, sind abzulehnen. Sie sollen hier auch nicht gefordert werden – aber es wird die Bobachtung beschrieben, dass die Interventionen gerade jetzt (anscheinend) ausbleiben.
Die Machtgruppen schweigen
Machtgruppen wie der BDI oder die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ haben alle Voraussetzungen zu wirkungsvollen Kampagnen, wenn es etwa darum geht, Verbesserungen bei der Rente oder der Entlohnung zu verhindern. „Die Industrie“ hat ihre Fähigkeiten zur politischen Einflussnahme bereits häufig unter Beweis gestellt – so häufig, dass die Mutmaßung, die politischen Geschicke würden auch, oder vor allem, nach Maßgabe von Konzern-Lobbys gestaltet, nicht abwegig erscheint: „Die Staatsgewalt geht vom Großen Geld aus“, überschreibt etwa Albrecht Müller ein Kapitel in seinem aktuellen Buch.
Wenn in der Vergangenheit also Interessen der großen Arbeitgeber bedroht schienen, so haben deren mächtige Abwehrmechanismen bestens funktioniert. D...
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„Homophob sind nur die Russen!“ oder: Wie ein geopolitischer Konflikt ideologisiert wird
Die neue West-Ost-Konfrontation wird zunehmend auch ideologisch aufgeladen. Ging es im ersten Kalten Krieg um „Freiheit versus Sozialismus“, sind nun die Geschlechteridentitäten zum ideologischen Schlachtfeld avanciert. Wobei die konstruierten Polaritäten auf beiden Seiten falsch sind. Von Leo Ensel.
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Vor 50 Jahren, im Sommer 1972, fanden die Olympischen Sommerspiele in einem Land statt, das die Menschenrechte eklatant verletzte – und keiner merkte was! Das Land hieß Bundesrepublik Deutschland und verletzt wurden die Rechte von Schwulen. Der Paragraph 175 StGB, der einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen (männlichen) Homosexuellen unter Strafe stellte, wurde erst vor knapp 30 Jahren im Zuge der deutschen Wiedervereinigung ersatzlos gestrichen.
Damals protestierte niemand gegen diese Menschenrechtsverletzungen. Auch nicht diejenigen Politiker*innen, die sich heute so gerne in bester Stellvertreterbetroffenheits-Manier politisch-kokett das Elend der gesamten Welt ungefragt auf ihre schmalen Schultern laden und sich bei eingeschalteten Kameras mit dem Zeigefinger stets auf Russland deutend in ihrer gefühlten moralischen Überlegenheit sonnen! Ebenso schwieg die gesamte liberale westdeutsche Presse von der „Zeit“ bis zur „Frankfurter Rundschau“. Und die progressiven Lehrer der Odenwaldschule widmeten sich stattdessen lieber intensiv ihren abhängigen minderjährigen Zöglingen.
Wie sich die Zeiten geändert haben! Keine Woche vergeht, ohne dass eine neue diskriminierte Minderheit aus dem Zylinder gezaubert wird – inclusive Heerscharen von PolitikerInnen, Journalist_innen und Sozialpädagog*Innen, die selbstlos für deren Rechte kämpfen. Und wer nicht sofort für genderneutrale Toiletten plädiert, entlarvt sich als Sexist, Rassist, im harmlosesten Falle als Reaktionär. Keine Frage, unsere Gesellschaft wird täglich menschlicher, gerechter, vielfältiger und toleranter.
Schade nur, dass die ganze Welt noch nicht so denkt und handelt wie wir! Besonders die Russen.
Womit wir beim Thema wären. Den nun schon viele Jahre vor dem Krieg gegen die Ukraine andauernden Spannungen zwischen dem Westen und Russland, kurz: dem neuen West-Ost-Konflikt.
Kein kriegerischer Konflikt kann längere Zeit ohne ideologische Aufladung am Köcheln gehalten werden. Jeder geopolitische Konflikt bedarf auf Dauer der Ideologisierung, langfristig stirbt man nur gerne für höhere Werte! Die selbstverständlich die eigene Seite repräsentiert. So auch heute wieder.
Gender-Theorie: Der ‚Weltkommunismus des Westens‘
West und Ost tun eine Menge dafür, ihren spätestens seit dem Kiewer Euromaidan 2013/14 offen zutage getretenen neu-alten Machtkampf um Einflusssphären nachträglich doch noch ideologisch zu einem neuen „Kampf der Kulturen“ aufzublasen. Ging es im (ersten) Kalten Krieg um „Freiheit versus Totalitarismus“ bzw. „Sozialismus contra Kapitalismus“, so ist nun das Gebiet der Gender-Identitäten zum beidseitig bevorzugten ideologischen Schlachtfeld avanciert. Wobei es diesmal der Westen ist, der ideologisch die Nase vorn hat.
Mit dem Marxismus verfügte damals im Kalten Krieg die Sowjetunion über eine weltumspannende Ideologie. Heute führt mit ähnlich universellem Anspruch der Westen die Gender-Theorie ins Feld. Fast ist man versucht zu sagen: „Die Gender-Theorie ist der ‚Weltkommunismus des Westens‘!“ Russland dagegen befördert eine Renaissance konservativer – angeblich ur-russischer – Werte, wobei Faschisten wie Dugin bereits offen von einem russisch-konservativ dominierten Europa von Wladiwostok bis Lissabon träumen. Die neuen ideologischen Schlachtrufe lauten entsprechend aus westlicher Perspektive: „Aufgeklärt-toleranter vielfältiger Westen contra reaktionäres Russland!“ und aus russischer Sicht: „Heiliges Russland versus faulendes ‚Gayropa‘!“
Wobei die Fronten, die hier von beiden Seiten konstruiert werden, sich bei genauerer Betrachtung als reichlich schräg erweisen. Auf wundersame Weise, wie durch göttliche Fügung bestimmt, scheint die Spaltung zwischen Homophobie und sexueller Vielfalt exakt entlang der Grenze zwischen osterweiterter EU und wiedererstarktem Russland zu verlaufen. Homophob sind demnach nur die Russen! (Und die Weißrussen vielleicht auch noch. Aber auf keinen Fall – jedenfalls nicht seit dem 24. Februar – die Ukrainer!) Während in Westeuropa das Paradies der Vielfalt bereits Ereignis geworden ist.
Natürlich ist diese – von beiden Seiten konstruierte, lediglich konträr gewertete – Polarisierung falsch. Denn sie verläuft in Wirklichkeit nicht zwischen Russland und ‚dem Westen...
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